Problematische Kommunikation: Patriarchale Wurzeln

Vor zwei Jahren veröffentlichte ich meine ersten Blogartikel „Begegnung auf Augenhöhe“ und „Problematische Verhaltensweisen und Überzeugungen„. Heute resümiere ich, dass sich bisher nichts so sehr bewahrheitet hat wie die Erkenntnisse in diesen beiden Artikeln, und was sie mit dem Patriarchat zu tun haben.

Eine Bemerkung vorab: Meine Artikel basieren auf psychologischen Erkenntnissen, die ich durch meine eigenen Erfahrungen und Reflexionen bestätigt sehe. Es handelt sich hierbei tatsächlich um geltende Naturgesetze. Dass psychologische Erkenntnisse häufig als esoterisch und unwissenschaftlich abgetan und deshalb nicht ernst genommen, belächelt und ignoriert werden, liegt in der Natur der Sache: Es ist schwierig, die menschliche Psyche zu erforschen, weil es lange Zeit nichts zu messen gab, und die Psychologie hat sich in ihrer Entwicklungsgeschichte nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wurden Menschen doch auf beschämendste Weise ihrer Würde beraubt, was ganz besonders Frauen betraf. Ihnen wurde zu Anfang die geistige Unterlegenheit gegenüber dem Mann diagnostiziert. Auch das ist selbstverständlich dem Patriarchat geschuldet. Im Grunde kann ein Mensch nur anfangen, sich selbst zu erforschen und die eigenen angelernten Überzeugungsmuster immer wieder an der Realität zu messen und zu überprüfen, und das gilt für Männer wie Frauen. Wer sich darin übt und die eigenen Sinne schärft, wird erkennen, dass vieles, was als wahr und gültig angenommen wurde und wird, korrigiert werden muss.

Mit dieser lange entwickelten Einstellung und offenen Augen sah ich mir ganz genau an, was in dieser Welt gerade passiert und auch passiert ist, und besonders, welche Rolle ich selbst darin spiele und spielte (im wahrsten Sinne des Wortes). Ich musste erkennen, dass ich und alle Menschen dieser Erde und dieser Zeit patriarchalisch sozialisiert und konditioniert sind. Nun, das ist wahrlich nichts neues, es gibt genügend Literatur zur Soziologie des Patriarchats, doch was bedeutet das? Die negativen Auswirkungen betreffen Männer wie Frauen, doch sind die Frauen als die unterdrückte Hälfte der Menschheit wesentlich stärker und prekärer davon betroffen. Selbst diese Tatsache musste ich mir erst einmal bewusst machen, denn ich habe die meiste Zeit meines Lebens geglaubt, ich sei voll emanzipiert und das Patriarchat sei abgeschafft oder löse sich gerade auf, wie auch manche Frauen, die derzeit ein Postpatriarchat postulieren, glauben. Dabei ist das Gegenteil der Fall, wir stecken noch bis zum Hals darin. Was wir tun können, dies zu ändern, ist u. a. die Menschheitsgeschichte neu zu reflektieren, was derzeit einige wenige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Angriff nehmen, bisher jedoch von der herrschenden Lehrmeinung ignoriert bis diffamiert. Doch damit bringen sie lange geglaubte Irrtümer ans Licht, z. B. die (ideologisch geschürte und irrige) Annahme, es hätte in der Religion immer schon einen Urvater gegeben. Das Gegenteil ist der Fall, die längste Zeit hat die Menschheit die Urmutter verehrt, was archäologisch belegt ist. Auch ist das Dogma widerlegt, es hätte schon immer die heutige Kernfamilie gegeben, also Vater, Mutter, Kind, und dass diese Paarungsfamilie schon in Urzeiten für sich selbst gesorgt und gewirtschaftet hätte, der Mann als Beschützer und Ernährer der in der Höhle hausenden und sich höchstens zum Sammeln nach draussen begebenden Frau. Doch ist dieses Modell weitaus jüngeren Datums und ebenfalls im Patriarchat verwurzelt. Es wird heute als die Norm gelebt als Institution Ehe und ist die staatlich anerkannte und geförderte Lebensform. Dabei ist sie seit Jahrtausenden eine unnatürliche und aufgezwungene Lebensweise, die zu Lasten der Frauen ging. Das Bild des steinzeitlichen Mannes, der seine Frau als Beute an den Haaren in die Höhle schleppt, ist überholt und hat sich als falsch und ideologisch heraus gestellt. Die Menschen lebten friedlich in großen Gruppen mit um die 100 Individuen, es gab keine Hierarchie (also „Herrschaft“, woraus folgt, dass es auch kein „Matriarchat“ gab, also eine „Mütterherrschaft“ als Pendant zum Patriarchat, was „Väterherrschaft“ bedeutet, sondern eine egalitäre matrifokale Gesellschaftsform). Die Fakten dazu sind bestens erklärt bei z. B. Gabriele Uhlmann oder Gerhard Bott, auf die ich hier in diesem Artikel nicht weiter eingehen will, da ich sie mir selbst erst kürzlich angeeignet habe und mir noch längst nicht alle bekannt sind. Das würde den Rahmen meines Posts sprengen. Auch Stephanie Gogolin hat zu dem Thema Matrifokalität gute und klare Artikel geschrieben, weshalb ich sie zum Einstieg bestens empfehlen kann.

Was haben nun die problematischen Verhaltensweisen, die ich immer wieder unter Menschen beobachte, und zwar nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Frauen untereinander, mit der Soziologie des Patriarchats zu tun? Meine Beobachtung war: Ein liebevoller Umgang von Menschen untereinander ist selten gegeben. Statt dessen sind deutlich sichtbar: Machtstreben, Bedürftigkeit, Verantwortungslosigkeit sich selbst und anderen gegenüber, gepaart mit verletzten Selbstwertgefühlen und Minderwertigkeitskomplexen; das geht bis hin zur psychischen und verbalen Gewalt. Empathie und Mitgefühl sind mit der Lupe zu suchen und selten zu finden. Diese Beobachtung kann jede Frau und jeder Mann machen, doch dazu ist es notwendig, genau hinzusehen (bzw. überhaupt hinzusehen, denn das tun einige selbst bei offensichtlichsten Gegebenheiten nicht).

Erika J. Chopich und Margaret Paul schreiben in ihrem Selbsthilfebuch „Aussöhnung mit dem inneren Kind“ (Ullstein, 1990, 24. Auflage 2007) im Vorwort:

„Unsere Gesellschaft befindet sich in einer tiefen spirituellen Krise, denn wir haben vor Tausenden von Jahren, noch bevor Jesus Christus auf die Welt kam, den falschen Weg eingeschlagen: Wir haben den Kontakt zu unseren Herzen verloren.“

Damit bringen sie das Elend, das in dieser Welt „herrscht“ (wortwörtlich), auf den Punkt, und es kann ergänzt werden: Das Patriarchat ist die Ursache allen Übels auf diesem Planeten seit der neolithischen (jungsteinzeitlichen) Revolution (der Wikipedia-Artikel bedarf dringender Überarbeitung, denn er ist, wie vieles zu diesem Thema, patriarchal kontaminiert). Um das Übel also abzuschaffen, müssen die Menschen wieder lernen, „in Kontakt mit ihren Herzen“ zu gehen. Das beinhaltet nichts anderes, als sich selbst, der angelernten Überzeugungen und Verhaltensweisen, Annahmen und Tabus bewusst zu werden. Nur das, was bewusst ist, kann gesehen und damit auch geändert werden. Wer den Weg in sein Inneres geht, und nur dorthin führt eine wirkliche Veränderung, nicht ins Außen, lernt sich selbst kennen, spüren, fühlen, und erlangt auf diesem Weg die Fähigkeit, andere zu spüren, ein Gefühl und Mitgefühl für sie zu entwickeln.

Die Realität sieht indes anders aus. Die meisten Menschen machen sich nicht die Mühe und sehen auch keinen Anlass, sich selbst zu hinterfragen, sondern werten und beurteilen andere Menschen aufgrund ihrer anerzogenen (unbewussten) Verhaltensweisen und Überzeugungen. Auch ist es üblich geworden, nicht von sich selbst zu reden (dabei kann ein Mensch ja nur von sich, also von der eigenen Perspektive aus, reden), sondern lieber über andere, und auch nicht mit ihnen. Es handelt übergriffig, wer über andere urteilt, die Aussagen anderer be- oder abwertet, im eigenen Sinne interpretiert, ganz genau zu wissen glaubt, wie andere ticken, funktionieren, was sie denken, was bei ihnen los ist und sie aufgrund dieser Annahmen mit einer psychologischen Diagnose kategorisieren. Daraus resultieren nicht selten entsprechende ungefragte und ungebetene Ratschläge. Übergriffe sind eine Eingemeindung anderer Personen in die eigenen Ansichten, Überzeugungen, Standpunkte und Annahmen, kurz: Eine Kolonialisierung.

In welchem System hat Kolonialisierung ihren Ursprung? Im Patriarchat.

Doch wie wollen wir das Patriarchat überwinden, wenn wir selbst ständig dabei sind, uns der ungesunden Praktiken, die zu dem bestehenden (unnatürlichen) gesellschaftlichen System geführt haben, auch im Zwischenmenschlichen zu bedienen? Zeigt es nicht einfach nur deutlich, wie tief wir alle noch im Patriarchat stecken, und zwar unbewusst, und dass die einzige Möglichkeit, sich die Dinge bewusst zu machen und damit zu ändern, das Sich-Hinterfragen ist? Wo wollen wir anfangen, dieses Gesellschaftssystem, das uns allen so massiv schadet, abzuschaffen, wenn wir nicht bei uns selbst anfangen? Ja, bei uns selbst, auch bei dir, der/die du jetzt diese Zeilen liest!

Um Missverständnissen vorzubeugen: Sich die o. g. Verhaltensweisen abzugewöhnen beinhaltet NICHT, keine Kritik mehr üben zu dürfen oder zu können. Kritik an den ideologischen Dogmen der WissenschaftlerInnen, der Kirche, der Politik etc. ist selbstverständlich notwendig und richtig. Ebenso beinhaltet „auf Augenhöhe“ NICHT, dass zwei Menschen denselben Wissensstand haben, oder sogar den selben Erfahrungshintergrund. Jeder Mensch macht eigene Erfahrungen und hat unterschiedliches Wissen und darauf basierend einen eigenen Erkenntnisstand, so dass es in diesen Punkten niemals eine Übereinstimmung geben kann. Wir sind unterschiedlich in vielen Dingen. Doch das Begegnen auf Augenhöhe geschieht zutiefst in dem Wissen und der Überzeugung, dass wir Menschen und auch alle Lebewesen auf diesem Planeten in all ihrer Vielfalt eins sind mit der Natur. Wollen wir die fortschreitende Zerstörung der Natur, des Planeten und all der Spezies darauf stoppen, müssen wir lernen, unsere Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl, die uns im Alltag allzuoft abhanden gekommen ist, zu reaktivieren. Und zwar dringend, bevor es zu spät ist.

Wenn es das nicht schon ist.

Der Täterschutz der deutschen Justiz

Meine Begegnung mit der deutschen Justiz ist schon ein paar Jahre her, und eigentlich (dieses Wort gehört „eigentlich“ aus dem Wortschatz gestrichen) wollte ich mein Erlebnis, nachdem ich es aber dennoch öfters in Kommentaren oder Facebookposts geschildert habe, einfach begraben. Die Reaktionen darauf waren dürftig bis verständnislos, und so ließ ich es tatsächlich irgendwann auf sich beruhen. Erlebt, damit nicht klar gekommen, aber ohnehin nix ändern können, sollte ich also den Deckel drauf legen. Aber ich kann es bis heute nicht, und mir ist auch endlich klar warum.

Jedenfalls lag es nicht daran, dass ich zu empfindlich bin, dass ich Dinge nicht abschließen kann, dass ich nicht „erwachsen“ oder souverän genug bin, mit Niederlagen umzugehen, oder dass ich immer alles auf mich beziehe. Oder dass ich kleinkariert sei oder mir nicht klar sei, dass das, was ich erlebt habe, ein Pipifax ist gegen die Ungerechtigkeiten, die Menschen tagtäglich erleben müssten. Ja, es stimmt, es ist ein Pipifax dagegen. Aber es steht für sehr problematische Strukturen und Handlungsstandards in dieser Gesellschaft. Sie zu durchbrechen kann nur geschehen, wenn sie bewusst gemacht werden. Deshalb erzähle ich hier meine Geschichte noch einmal in aller Öffentlichkeit.

Ich bin verurteilt worden. Eine Verurteilung „nur“ mit Strafandrohung. Keine Vorstrafe also. Dennoch ein gerichtlich gesprochenes Urteil. Ein Urteil, das falsch ist. Denn der wahre Täter kam straffrei davon.

Was war passiert? Ich hatte einen Verkehrsrowdy angezeigt, der auf einer Schnellstraße versucht hatte zu verhindern, dass ich ihn überhole. Er beschleunigte auf der rechten Spur, während ich versuchte, ihn links zu überholen, er bremste mich aus, als ich mich daraufhin hinter ihm auf die rechte Spur begab, und als ich es trotzdem geschafft hatte, ihn zu überholen, rächte er sich durch massives dichtes Auffahren und Drängeln und Schneiden. Das war einfach zu viel, das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen und so erstattete ich noch am selben Tag bei der Polizeiwache Anzeige gegen den Fahrer des Fahrzeuges, dessen Nummer ich mir gut gemerkt hatte.

Ein paar Wochen später bekam ich ebenfalls eine Anzeige von ihm wegen Nötigung und Beleidigung. Ich hätte ihm einen Vogel und den Stinkefinger gezeigt. Das wog für die deutsche Justiz schwerer als Drängeln und Ausbremsen und verkehrsgefährdendes Verhalten. Denn das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt mit der Begründung, dass Aussage gegen Aussage stünde, die Aussicht auf Erfolg sei zu gering. Das Verfahren gegen mich schien aber nicht so aussichtslos zu sein, auch wenn die selben Vorraussetzungen galten, nämlich Aussage gegen Aussage. Es gab keine weiteren Zeugen.

Ich legte Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen meinen Gegner ein, die ich aber später zurück nahm auf Anraten meiner Anwältin. Das Gericht lud mich nämlich zu einer Hauptverhandlung ein in Gegenwart des „Zeugen“, also des Täters, vor dem ich aussagen sollte. Schließlich war ich hier die Beklagte. Allein diese Verdrehung der Tatsachen war für mich schlicht nicht zu ertragen, und es ging mir aus anderen Gründen zu der Zeit noch ziemlich schlecht. So zog meine Anwältin „aus taktischen Gründen“, wie sie mir versicherte, die Beschwerde kurz vor der Verhandlung zurück. Sie meinte, das sei richtig so, weil es mir zu der Zeit nicht gut ging. Es war nicht meine Entscheidung, weil ich gerne die Wahrheit klar gestellt hätte. Doch so blieb mir dieser Gerichtstermin immerhin erspart.

Die Entscheidung von der Staatsanwaltschaft bekam ich erst zu erfahren, als das gerichtliche Verfahren gegen mich abgeschlossen war, also ca. ein 3/4 Jahr später. Die Begründung hat mich schlicht umgehauen: Durch meine Rücknahme der Beschwerde gegen das Urteil gegen mich hätte ich die Vorwürfe eingeräumt, und die Staatsanwältin schrieb in ihrer Begründung, dass meine Glaubwürdigkeit dadurch anzuzweifeln ist. Die Strafe besteht also, und die Gerichtskosten musste ich tragen. Fast ein Jahr nach meiner Anzeige.

Dass der Satz „Aussage gegen Aussage“ keineswegs immer gleich ausgelegt wird und warum, ist mir erst in den letzten Jahren klar geworden, als ich mich mit dem in Deutschland vorherrschenden Sexismus beschäftigte, und die daraus resultierende Problematik, dass Vergewaltigungsopfer die Tat nicht anzeigen, weil sie danach massiver Opferbeschuldigung ausgesetzt sind. Es wird ihnen per se Unglaubwürdigkeit und die Absicht unterstellt, den Täter vorsätzlich falsch zu beschuldigen. Vorerst war ich einfach nur irritiert darüber, nun ist es mir klar: Die deutsche Justiz betreibt einen offensichtlichen Täterschutz, besonders dann, wenn der Täter ein Mann und das Opfer eine Frau ist. Dabei muss es sich noch nicht einmal um eine Vergewaltigungstat handeln. Ich bin in diesem Staat verurteilt worden aufgrund einer „Zeugenaussage“, die erstunken und erlogen war und weder von anderen bestätigt noch bewiesen worden ist. Ohne je persönlich befragt worden zu sein, ohne je im Gerichtssaal gewesen zu sein, ohne jemals den Richter kennen gelernt zu haben, der mich verurteilt hat. Nur schriftlich. Ein gelber Brief mit der Post zugestellt verkündete das Urteil, fertig aus.
Wer das noch nicht erlebt hat, der weiß nicht wie es sich anfühlt, wenn an der Tür ein Postbote steht, einen gelben Brief zückt, eine Unterschrift verlangt und dein entsetztes Erstaunen mit den Worten „Da habe ich nichts mit zu tun“ kommentiert.

Aber es wurde stets an meine Gelassenheit appelliert, ich solle es einfach hinnehmen. Dabei kommen die wirklich problematischen Verhaltensweisen immer dann zum Vorschein, wenn ich von meinem Erlebnis erzähle. Es wird abgewiegelt, herunter gespielt, nicht ernst genommen. Meine Anwältin sagte, nach dem ich ihr einmal zu oft meine Fassungslosigkeit kund tat, nun sei es doch mal an der Zeit, damit souverän umzugehen, meinen Sie nicht? Gerade im Verkehrsrecht sei so vieles ungerecht und unklar. „Oder nehmen Sie den Fall Kachelmann, da behauptet so eine Tussi, ‚der hat mich vergewaltigt‘!“ Sinngemäß, aber den letzten Satz sagte sie mit Kleinmädchenstimme. Tja, genau. Tussis, die einfach so eine Tat vortäuschen und sich dann auch noch trauen, diese vorgetäuschte Tat anzuzeigen. Wie abgrundtief hinterfotzig! Und solchen Tussis haben Sie es zu verdanken, dass Sie nicht für glaubwürdig gehalten werden, Sie könnten ja auch so eine sein, wer weiß! Sie wurden zwar verurteilt, aber nicht schlimm, nur wegen Beleidigung, und dann auch nur mit Strafandrohung, falls Sie das innerhalb der nächsten zwei Jahre noch einmal tun. Deal with it.

Pipifax? Nein. Ein Skandal.

 

Das Pro-Prostitutions-Bullshit-Bingo

Heutzutage ist es für die junge Generation der FeministInnen en vogue, sich für Prostitution einzusetzen. Und zwar für Prostitution, nicht etwa nur für die Prostituierten. Die Gründe: Diese brauchen natürlich die Prostitution, um ihrem Beruf nachgehen zu können. Würde die Prostitution verboten oder auch nur der Kauf von sexuellen Dienstleistungen, wäre damit den SexworkerInnen die Lebensgrundlage entzogen. Deshalb versteht es sich von selbst, sich also dafür einzusetzen, dass die SexworkerInnen bessere Arbeitsbedingungen erhalten, dass die Stigmatisierung ein Ende hat und dass selbstverständlich jede Frau das Recht auf Selbstbestimmtheit genießt, wenn es um ihren Körper geht. Das gilt sowohl für die Ausübung als selbstbestimmte SexworkerIn im Prostitutionsgewerbe als auch für z. B. PornodarstellerInnen.

So oder ähnlich wird immer wieder argumentiert. Ich unterstelle den Anhängern dieser Argumente noch nicht einmal, dass sie nicht nur das Beste wollen. Dennoch halte ich all diese Argumente für auf Sand gebaut, denn sie übersehen sehr wichtige Dinge, die für das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft elementar sind: Prostitution ist per se würdelos, weil sie Gewalt und Missbrauch von Menschen beinhaltet. Das gilt genau so für die Pornographie.

Doch wehe, man vertritt heutzutage die klare Ansicht, dass Prostitution würdelos und unmenschlich ist: Es ist zwar unglaublich, aber ausgerechnet die, die sich liberale FeministInnen nennen, behandeln eine dann plötzlich wie Aussätzige, Abartige, Kranke. Das geht mit Unterstellungen los, erweitert sich über Schmähungen und Drohungen und hört bei Blocken und Ausschluss nicht auf.

Ich habe hier einmal die Schlagworte, Behauptungen, Projektionen und Unterstellungen gesammelt, mit denen ich mich, seit ich meine Position gegen Prostitution deutlich gemacht habe, immer wieder konfrontiert sehe, und stelle sie gleichzeitig richtig:

  • ProstitutionsgegnerInnen sind alle HurenhasserInnen
    Richtig ist: ProstitutionsgegnerInnen lehnen das System Prostitution ab, nicht die Menschen, die sie ausüben. Im Gegenteil: Indem sie sich dafür einsetzen, das System zu kippen, setzen sie sich automatisch auch für die Prostituierten ein. Das hört die Lobby aber nicht gern, weil sie das System erhalten will, denn es ist gerade in Deutschland ein sehr lukratives Geschäft. Und zwar zuletzt für die unmittelbar Betroffenen, die Prostituierten.
  • Dass es nur wenige selbstbestimmte und zufriedene SexworkerInnen gibt, ist eine Lüge!
    Richtig ist: Höchstens 5-10% aller Prostituierten arbeiten tatsächlich freiwillig und selbstbestimmt und verdienen darüber hinaus auch noch gut. Der weitaus größte Teil lebt in prekären Verhältnissen und will vor allem eines: Raus aus der Prostitution.
  • Ihr wollt nicht mit uns (den ProstitutionsbefürworterInnen) diskutieren? Das zeigt ganz deutlich eure Verachtung für die SexworkerInnen!
    Richtig ist: Diskussionen erwiesen sich immer wieder als frucht- und sinnlos. Das nervt.
  • Der Schwarzer-Feminismus ist rückständig und paternalistisch
    Nein. Er ist etabliert, weitsichtig und setzt sich seit Jahrzehnten für die Gleichstellung aller Frauen in der Gesellschaft ein. Ich betone: Aller Frauen.
  • ProstitutionsgegerInnen sind nur selbsternannte FeministInnen
    Ja, natürlich. Alle FeministInnen sind selbsternannt, haben sich dafür entschieden, sich im Feminismus zu engagieren. Ich kenne jedenfalls keine Instanz, die jemandem die Bezeichnung „FeministIn“ explizit verleiht.
  • ProstitutionsgegnerInnen sind sexnegativ und haben grundsätzlich eine Abneigung gegen oder ein Problem mit Sex
    Richtig ist: ProstitutionsgegnerInnen haben überhaupt kein Problem mit Sex. Nur mit Sex gegen Geld. Sobald Geld ins Spiel kommt, kann von konsensualem Sex keine Rede mehr sein. Das Problem mit Sex haben in Wirklichkeit jene, die glauben, sich erfüllenden Sex kaufen zu können.
  • ProstitutionsgegnerInnen wollen SexworkerInnen bevormunden und „retten“
    Nein. Wollen sie nicht.
  • Sexarbeit ist eine Arbeit wie jede andere auch
    Nein, das ist sie nicht. Das Wort „Sexarbeit“ ist ein schlimmer Euphemismus: Es verharmlost das, was damit gemeint ist: Prostitution. Und Prostitution ist Gewalt und Missbrauch. Viele Prostituierte, besonders viele ehemalige und überlebende, lehnen diesen Begriff deshalb auch vehement ab.
  • Den ProstitutionsgegnerInnen geht es nur um Verbote
    Nein, es geht ihnen um eine Gesellschaft, die ohne Prostitution auskommt.
  • Kriminalisierung, auch der Freier, ist Murks
    Solange dem Markt nicht anders der Sumpf trocken gelegt werden kann, ist es am naheliegensten, jene zu kriminalisieren und zu bestrafen, die den Markt erst möglich machen.
  • Wer Freier kriminalisiert, entzieht den SexworkerInnen die Lebensgrundlage
    Nein, sondern verhilft ihnen, da der Markt immer weniger nachgefragt wird, zu einer realen Chance, aus der Prostitution auszusteigen.
  • Ihr denkt ja alle nur in Schubladen!
    Und ihr erst mal!
  • ProstitutionsgegnerInnen sind ganz arme verklemmte prüde Menschen
    Richtig ist: Sie haben sich viele Gedanken zum Thema Prostitution gemacht, sich intensiv mit dem Thema und auch mit anderen gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Themen beschäftigt, um ein besseres Zusammenleben zu realisieren. Die, die das nicht taten und am System festhalten wollen, sind in Wirklichkeit die ärmeren.
  • Das schwedische Modell hat überhaupt nicht für eine Verbesserung der Lage der SexworkerInnen gesorgt
    Und ob es das hat. Das ist belegt, unstrittig und in den entsprechenden Quellen nachzulesen. Zum Beispiel hier. (Update: Der Link verwies auf einen Artikel von Mira Sigel auf dem Blog „Die Freiheitsliebe“. Die Autorin hat den Blog verlassen, sie war dem übrigen Team zu unbequem, und ihr Artikel wurde dort entfernt. Doch er ist nun hier wieder online.)
  • Für ProstitutionsgegnerInnen sind alle Männer potenzielle Freier
    Nein, denn sie wissen, dass es genug Männer gibt, die nicht im Traum daran denken, zu einer Prostituierten zu gehen oder sich Pornos anzusehen.
  • ProstitutionsgegnerInnen diskriminieren behinderte Menschen, weil sie ihnen das Recht auf Sex verwehren
    Erstens gibt es kein Recht auf Sex, und zweitens spricht es nicht für eine Gesellschaft, in der behinderte Menschen keine Gelegenheiten bekommen, erfüllende Beziehungen aufzubauen, weil sie ihrerseits als minderwertige Menschen diskriminiert werden. Die eine Gruppe diskriminierter Menschen (Behinderte) gegen die andere (Frauen) auszuspielen, gehört zu den menschenverachtendsten Praktiken in einem System, das aufgrund seiner Struktur für Ungleichheit sorgt.
  • Das Recht auf Sex ist ein Menschenrecht
    Nein, das ist es nicht. Kein Mensch hat ein Recht darauf, Sex zu haben, schon gar nicht gegen den Willen eines anderen. Er ist ein Geschenk und auch als solches zu betrachten. Genau wie eine Beziehung und die Liebe.
  • ProstitutionsgegnerInnen sind keine Feministinnen, weil sie anderen Menschen ihre Selbstbestimmtheit absprechen
    Ein immer wieder gern heraus geholtes Totschlagargument. Nein, sie wollen anderen Menschen nicht ihre Selbstbestimmtheit absprechen, weil sie wissen, dass jeder Mensch für seine Taten und Nichttaten selbst verantwortlich ist.
  • Es gibt einen Unterschied zwischen Prostitution und Pornographie
    Ja, und zwar diesen: Pornographie ist vor laufender Kamera aufgezeichnete Prostitution für ein Millionenpublikum.

Mir ist klar, dass ich mit meinen Richtigstellungen nicht die erreiche, die es betrifft. Man wird mir weiterhin Dinge unterstellen, die ich bisher noch nicht einmal geträumt habe, z. B. Heuchelei oder Scheinheiligkeit oder Bigotterie oder ähnliches. Neuerdings wirft man uns, den „radikalen Schwarzer- und AltfeministInnen“, sogar Hatespeech vor. Etwas, gegen das wir selbst auch ständig kämpfen. Aber wir sind der Solidarität anderer Frauen und FeministInnen nicht wert, weil wir die Fehler im System an der Wurzel bekämpfen wollen, anstatt uns mit diesem nur zu arrangieren.

Denn die weniger reflektierten Menschen arrangieren sich nur. Ohne es zu bemerken.

 

Moral ist das Gegenteil von Würde

In den heutigen Gesellschaften und Lebensgemeinschaften wird nach moralischen Werten gemessen, geurteilt oder bewertet. Moral definiert das Handeln nach bestimmten Konventionen und Regeln, die in einer Gesellschaft festgelegt und zum einen per Gesetz definiert sind, zum anderen über kulturelle Übereinstimmungen gelten. Alle Lebewesen einer Gesellschaft werden deshalb moralischen Werten unterworfen, nach denen sie sich zu richten haben und dies erfahrungsgemäß mehr oder weniger tun. Tun sie es nicht, entscheidet eine eigens dafür eingerichtete moralische und rechtliche Instanz darüber, ob und wie schwer sie dafür zu verurteilen sind. Wobei Recht und Moral nicht immer übereinstimmen müssen.

Doch Würde misst sich nicht an äußeren Maßstäben. Für Würde gibt es nur einen Maßstab, und der liegt im Inneren eines jeden Menschen und jeden Lebewesens. Würde ist der Maßstab. Jedes Lebewesen hat Würde inne. Sie ist nicht definierbar, weil sie ist was sie ist, aber spür- und fühlbar. In besonderer Achtsamkeit dem Leben gegenüber und indem es in vollem Ernst und in seiner Ganzheit angenommen wird, kommt Würde am deutlichsten zum Ausdruck. Dazu gehören alle Facetten des Lebens, Stärken, Schwächen, Begabungen, Krankheit, Geburt und Tod.

In dieser Gesellschaft wird aber die Moral mit Würde gern verwechselt, dabei schließen sie sich gegenseitig aus. Dies mag revolutionär klingen, wird heutzutage doch geglaubt, Würde und Moral seien ein und dasselbe oder Ähnliches oder haben direkt miteinander zu tun. Es wird geglaubt, die Moral müsse dafür sorgen, dass die Würde garantiert sei. Gäbe es keine Moral, so wird argumentiert, wäre die Gesellschaft anarchisch und somit würdelos. Doch das ist ein Irrtum: Die Würde ist die alleinige Instanz, die Anarchie im Sinne von lebenszerstörendem Chaos verhindert. Sie ist nicht umsonst in Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verankert. Doch unabhängig davon, ob in einem Gesetzestext der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht oder nicht: Würde ist uneinforderbar, uneinklagbar und unabsprechbar, denn sie steht automatisch allen Lebewesen zu. Sie ist das, was das lebende Wesen ausmacht, ja, was überhaupt erst das Alleinstellungsmerkmal all dessen ist, was lebt. Der Satz im Grundgesetz ist somit keine Weisung oder Ermächtigung oder Forderung: Er ist schlicht eine Feststellung. Und er steht da, damit wir uns immer wieder daran erinnern.

Kann eine Gesellschaft ohne Moral existieren, wenn sie sich ausschließlich auf die Würde ihrer Individuen stützen würde? Kritiker halten dagegen, ohne Moral gäbe es kein friedliches Zusammenleben, weil alle nur auf den eigenen Vorteil bedacht wären und somit die anderen in ihrem Sinne benutzen oder ausnutzen würden. Fehlende moralische Konventionen würden als Freifahrtschein missverstanden, sich zu „verwirklichen“ und egoistisch die eigenen Interessen auszuleben ohne Rücksicht auf andere. Doch Würde ist kein Freifahrtschein. Menschen, die in Würde handeln, brauchen keine moralischen Regeln, die ihnen sagen, wie sie so zu handeln haben, dass sie anderen nicht schaden. Sie wissen es automatisch, denn die Würde definiert das Sein ohne Bewertungen von außen. Wird das Leben nicht geachtet, wird die Würde verletzt.

Im patriarchalen und kapitalistischen System jedoch ist die Würde der Individuen in höchstem Maße gefährdet und wird tagtäglich auf allen Ebenen des Zusammenlebens verletzt. Im Kapitalismus geht es nicht um Menschen, sondern um Gewinnmaximierung, Marktoptimierung, Warenherstellung, Konsum, Kapitalanhäufung und das ewige Wirtschaftswachstum. Nun wird auch klar, warum die Moral in so einem System gebraucht wird: Weil die Menschen ihrer Würde beraubt werden, und zwar so sehr, dass sie sich ihrer gar nicht mehr bewusst sind. Es fehlt ihnen also der innere Halt, der innere Maßstab, als Mensch in dieser Gesellschaft zu existieren. Sie brauchen statt dessen den Halt der äußeren moralischen Maßstäbe. Es ist logisch: Wo es nur um Geld und Materialismus geht, geht es nicht um die Menschen und folglich auch nicht um ihre Würde.

Das Patriarchat indes sorgt seit tausenden Jahren dafür, dass die eine Hälfte der Menschheit die andere unterdrückt, ausbeutet, benachteiligt, benutzt, zum großen Teil inzwischen unbewusst (und von der Finanzlobby sogar gefördert), da wir alle in diese Welt hineingeboren wurden und somit mit den Konventionen aufgewachsen sind, die wir unhinterfragt verinnerlicht haben. Besonders deutlich wird das bei dem Thema Prostitution. Gerade an der derzeitigen unsäglichen Debatte um die Liberalisierung der Prostitution wird sehr deutlich, dass es mit der Würde in dieser Gesellschaft, in diesem Land nicht sehr weit her ist. Ganz egal, wie sehr die BefürworterInnen behaupten, die Frauen machten ihre „Arbeit“ selbstbestimmt und freiwillig: Sie machen es für Geld. Sie dienen dem Kapitalismus und dem Patriarchat, denn ohne gäbe es die Prostitution gar nicht. Prostitution hat mit Würde nicht das Geringste zu tun. Ich mag das hier nicht weiter ausführen, denn es ist alles bereits gesagt worden dazu.

Mit einem Theologen habe ich letztens darüber diskutiert, inwiefern Werte und Bewertungen im Zwischenmenschlichen wichtig sind. Er hielt es für sehr wichtig, meinte, der Mensch solle sogar sich und andere bewerten und beurteilen, aber dennoch stolz darauf sein was er sei. Dazu sage ich: Stolz ist auch ein Begriff, mit dem Würde gern verwechselt wird, doch er ist eng und beschränkt durch die Anhaftung an moralische Werte. Bewerten und Urteilen setzt immter einen Maßstab voraus. Ist Würde der Maßstab, erübrigt sich ein Bewerten.

Es gibt keinen Wert außer Würde. Es reicht zu sein.

#Aufschrei, Feminismus und Solidarität – ein Jahresrückblick

Als es Anfang des Jahres der Hashtag #aufschrei bis in die Medien und die Initiatorinnen in die Talkshows dieser schafften, erwachte in mir der Feminismus. Auch dieses Blog ist ein Resultat davon. Die Erlebnisse des alltäglichen Sexismus tausender Frauen, nicht nur getwittert unter dem Hashtag, sondern noch detaillierter geschildert auf www.alltagssexismus.de, erschütterten mich zutiefst, denn mir wurde zum ersten Mal sehr deutlich und schmerzlich bewusst, was es wirklich heißt, in dieser Gesellschaft eine Frau zu sein. Eine Frau zu sein, ihr Frausein auszuleben als Mutter zweier Kinder; die Spagate, zu denen sie gezwungen ist, wenn sie die Lebensbereiche Berufsleben und Familie unter einen Hut zu bringen versucht. Zu erkennen, welche Art von Hindernissen ihr im Weg standen, die nichts, absolut nichts mit meiner Qualifikation zu tun hatten. Mir fielen immer mehr Erlebnisse ein, die belegten, dass ich mich jahrzehntelang abstrampelte, um in dieser Gesellschaft als Mensch und Frau anerkannt und respektiert zu werden, was aber in ganz vielen Fällen nicht gegeben war. Dennoch glaubte ich daran, eine emanzipierte Frau zu sein, denn ich habe Abitur machen und studieren können in einem männlich dominierten Bereich. Ich arbeitete sogar zeitweise als Schichtleiterin in der Produktion chemischer Stoffe, was nur einer von hundert Ingenieurinnen gelingen dürfte. Ich stand meine Frau in dem rauen Arbeitsklima fast nur unter Männern und sah mich deshalb keineswegs als unterprivilegiert an, sondern längst als gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit meinen männlichen Kollegen, Vorgesetzten und Schichtarbeitern.

Dass ich mir in die Tasche log, belegen diese Tatsachen: Mein männlicher Kollege der anderen Schicht verdiente trotz völlig gleichwertiger Qualifikation und gleicher Aufgaben mehr Geld. In dem rauen Arbeitsklima ging es höchst sexistisch zu, was ich aber ausblendete. Versuchte ich, meine Autorität durchzusetzen, galt ich nicht als souverän, sondern hysterisch. Anstatt sich meinen Anweisungen zu fügen, johlten die Arbeiter vor Hohn. Einer hat mich mal, weil es in einem Kessel eine Verpuffung gab und er daneben stand und sich sehr erschrocken hat (die Situation war nicht gefährlich und ich konnte gar nichts dafür), mit übelsten Schimpfwörtern angeschrien, mich bedroht und beleidigt. Ich erwog eine Verwarnung, die mir jedoch von meinen Vorgesetzten ausgeredet wurde, man wolle schließlich keinen Streit, und sicher war es ja auch kaum der Rede wert. Ich bin sicher, die Sache wäre für diesen Arbeiter weniger glimpflich ausgegangen, wäre ich ein Mann. In erster Linie deshalb, weil man mir dann eher geglaubt hätte anstatt mir als Frau von vornherein zu unterstellen, da wohl etwas missverstanden oder emotional überreagiert zu haben.

Später als Ehefrau und Mutter war ich anderen Diskriminierungen ausgesetzt, und ich nenne sie heute so, weil sie es sind. Ich wollte es nur lange Zeit nicht wahrhaben.

Feminismus war also nie mein Thema. Ich erinnere mich sogar an diesen Schlagabtausch im Fernsehen von Verona Feldbusch mit Alice Schwarzer, wo ich eindeutig auf der Position von Verona Feldbusch stand, nicht auf der von Schwarzer, weil ich sie vertrocknet und gestrig fand. Heute sehe ich sie in einem ganz anderen Licht. In meinem Leben war Feminismus also nie Tradition, für mich ist er neu. Mein Feminismus wird demnächst ein Jahr alt.

Ich gehöre also gar nicht zu den so genannten Alt-Feministinnen, sondern ich bin einfach eine ältere Frau, die spät zum Feminismus gefunden hat. Dennoch werde ich wohl, gerade von den „jungen Feministinnen“, in diese Schublade gesteckt, wobei ich noch nicht einmal weiß, was das eigentlich bedeutet. Was ist an Alt-Feministinnen denn so verachtenswert? Dabei gab es mal eine Zeit, in der ich diesen jungen Frauen sehr dankbar war, dass sie den in dieser Gesellschaft verankerten Sexismus aufzeigten und sichtbar machten (und bin es immer noch, nicht, dass jetzt Missverständnisse aufkommen!). Es gab eine Zeit, da folgte mir auf Twitter sowohl @marthadear als auch @Faserpiratin, @totalreflexion und @vonhorst. Irgendwann, so in der Sommerzeit, wurde ich dann von einigen wieder verlassen. Zu der Zeit war ich nicht in der Stimmung, mich intensiv mit feministischen Themen auseinander zu setzen. Doch es kam der Herbst, und mit ihm der Appell von Alice Schwarzer gegen Prostitution, den ich erst gar nicht so richtig mitbekam. Als ich ihn realisierte, fühlte ich mich sofort angesprochen und verlinkte oft dahin. Dass mich daraufhin viele meiner FollowerInnen, von denen ich bis dahin viel hielt, entfolgten, hat mich zunächst nur irritiert. Ich hatte doch nur deutlich meine Position gegen Prostitution verlauten lassen, warum entfolgten mich denn jetzt ausgerechnet die FeministInnen?

In einer Gruppe auf Facebook schrieb ich ziemlich enttäuscht und ernüchtert diesen Satz: „Wenn Feminismus bedeutet, sich für die Prostitution einzusetzen, distanziere ich mich ganz eindeutig davon“. Daraufhin wurde ich dort angegriffen, mir wurde unterstellt, mich nicht solidarisch mit meinen „Schwestern“ in der SexworkerInnenszene zu zeigen, und von einer bekannten und viel bloggenden Feministin wurde ich öffentlich zurecht gewiesen, wie ich mit meiner Einstellung doch pauschal die ganze Prostitution und mit ihr die Prostituierten verteufeln würde. Auf Twitter sah ich mich immer öfter auch Angriffen der Prostitutionslobby ausgesetzt. Für mich war das schlimmer zu ertragen als die Beleidigungen und Beschimpfungen der Maskutrolle unter #Aufschrei und führte am Ende dazu, dass ich meinen Account aufgab, mir einen neuen anonymen zulegte und nur noch geschützt twittere. Ich twittere geschützt für die wenigen FollowerInnen, die meine Ansichten teilen und verstanden haben, nicht mehr öffentlich, um mich nicht mehr den Angriffen auszusetzen. Mundtoter geht es eigentlich gar nicht. Aber es gibt ja noch dieses Blog.

Doch jetzt werde ich euch, den „jungen FeministInnen“ (wer sich angesprochen fühlt, ist gemeint), mal die mir eingeforderte Solidarität ein für alle Mal um die Ohren hauen. Denn eure eigene ist keinen Pfifferling wert. Ihr wollt also den wenigen SexworkerInnen, denen es mit ihrem „Beruf“ gut geht und die sich nicht ausgebeutet fühlen, nicht die Solidarität verweigern, dafür aber allen anderen Frauen, die nicht eure Ansicht teilen, sich aber die ganze Zeit für eine bessere Gesellschaft mit Hilfe von feministischen Gesichtspunkten eingesetzt haben? Alle Frauen, die ich jetzt als eindeutige Gegnerinnen der Prostitution kenne, steckt ihr in die Schublade #notmyfeminism? Und ihr scheut euch auch nicht davor, diese Frauen sogar zu blocken und sie damit genau so zu behandeln wie die schlimmsten Maskutrolle? Ja, habt ihr denn immer noch nicht begriffen, dass Feminismus und Prostitution gar nicht zusammen gehen können, dass es ein Widerspruch in sich ist, sich einerseits feministisch zu engagieren, aber andererseits die Prostitution gut zu heißen? Wann merkt ihr endlich, dass ihr euch an der Person Alice Schwarzer festbeißt und ihr immer wieder unterstellt, mit ihrem Appell nur ihr kleines Buch promoten zu wollen? Merkt ihr denn wirklich nicht, dass sie genau für die Sache kämpft, für die ihr auch kämpft, dies aber schon viele Jahrzehnte länger und wesentlich weitsichtiger und reflektierter? Merkt ihr nicht, dass ihr all den Frauen, die sich im Zuge der #Aufschrei-Debatte mit euch solidarisierten, ihre Geschichten auf alltagssexismus.de veröffentlichten, sich mit euch engagierten, dem Sexismus dieser Gesellschaft endlich Einhalt zu gebieten, Unrecht tut, in dem ihr sie jetzt einfach ausgrenzt, ignoriert und ihr Engagement nicht mehr wertschätzt? Merkt ihr nicht, dass ihr der Prostitutionslobby auf den Leim gegangen seid und damit eure eigene viel versprechende Bewegung unterwandert und ad absurdum geführt, kaputt gemacht habt? Habt ihr denn wirklich gar nichts gelernt und begriffen? Statt dessen faselt ihr von Selbstbestimmung und freiem Willen und seht nicht, dass es in der Prostitution weder das eine noch das andere gibt. Ihr glaubt mir nicht? Dann lest doch einmal die reflektierten und sehr klugen Worte dieser ehemaligen Sexworkerin.

Ich fühle mich von euch jedenfalls nicht mehr repräsentiert. Ich will eine Gesellschaft ohne Prostitution, und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie möglich ist, nämlich genau dann, wenn sowohl das Patriarchat als auch der Kapitalismus abgeschafft sind. Ich halte diese beiden Systeme für die Ursache der Prostitution. Aber ich bin da nicht die einzige. Es gibt mit mir noch viele tausende Menschen, die genau das auch wollen und sich zumindest bis dahin, bis sich mit Patriarchat und Kapitalismus die Prostitution ganz von allein erledigt hat, für ein Verbot einsetzen. Mindestens jene, die den Appell von Alice Schwarzer unterschrieben haben und denen nicht nur von der Prostitutionslobby der gesunde Menschenverstand abgesprochen wird, was mich in dem Fall nicht die Bohne kümmert. Sondern ausgerechnet und fatalerweise von jenen, deren Solidarität ich mir mal sicher war. Was mir in dem Fall einfach nur weh tut.

Meine paar Worte zur Prostitution

Liebe Prostitutionsbefürworterinnen,

mit diesem Post möchte ich nur kurz meine Sicht auf das Thema Prostitution zum Ausdruck bringen. Und dann nie wieder von einer von euch darauf angesprochen werden.

Grundsätzlich lehne ich Prostitution ab, weil ich sie als ein Symptom des Patriarchats und des Kapitalismus sehe. Ich lehne aber in erster Linie das System ab, weil es für die Ungleichheit zwischen Menschen, explizit Männern und Frauen, Weißen und Farbigen, Reichen und Armen, Gebildeten und Ungebildeten, Hetero- und Homosexuellen und überhaupt Hetero- und Anderssexuellen usw. sorgt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Prostitution nur in diesem System existieren kann. Prostitution ist für mich auch nicht nur das Anbieten von Sex gegen Geld, sondern überhaupt das Ausüben einer Tätigkeit ausschließlich aus der Motivation heraus, dafür Geld zu bekommen. Denn in diesem System ist das Überleben mit dem Erhalt von Geld gekoppelt.

Alles andere, was zwischen Menschen in sexueller Hinsicht zustande kommt, also wo Geld keine Rolle spielt, bezeichne ich schlimmstenfalls als Pornografie, sofern Liebe fehlt. Doch was immer auf beiderseitigem Einverständnis geschieht, hat mit Prostitution nichts zu tun.

Da ich Prostitution ablehne, wird mir derzeit sofort unterstellt, ich wäre auch dafür, diese zu verbieten. Das bin ich ausdrücklich nicht! Ich bin gegen ein Prostitutionsverbot, aber deshalb noch lange nicht für Prostitution.(Update: Ich bin für eine Gesellschaft ohne Prostitution. In meinen Augen ist sie nur durch ein Umdenken erreichbar. Verbote halte ich grundsätzlich für problematisch, egal, auf welchem Gebiet. Dennoch: Ich würde heute, um der Prostitution, ganz besonders der Lobby dahinter, Einhalt zu gebieten, auch für ein Verbot stimmen.) Es liegt mir fern, alle, die mit Prostitution ihr Geld verdienen, zu verdammen. Und ich werte damit auch nicht das Engagement der betroffenen Prostituierten ab, für bessere Bedingungen zu kämpfen.

Ja, ich halte das ganze System Patriarchat und Kapitalismus für pervers. Weil es das Menschsein degradiert, abwertet und in Frage stellt, und nicht nur das Menschsein, auch das Sein aller Kreaturen auf diesem Planeten. Prostitution ist ein Teil davon, und zwar einer der finstersten. Ich glaube daran, gäbe es weder Patriarchat noch Kapitalismus, gäbe es auch keine Prostitution. Denn sie gehört einfach nicht zu einem guten Leben von Lebewesen, die sich auf Augenhöhe begegnen.

Ich bin Musikerin, Sängerin, Künstlerin. Mir liegt nichts, wirklich nichts ferner als anderen Menschen irgend etwas Böses zu wünschen oder zu wollen. Warum also sollte ich mit meinen Aussagen und Erkenntnissen anderen schaden wollen? Das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich sie veröffentliche, dann nicht, um andere zu belehren oder ihnen etwas zu unterstellen, sondern um eine Botschaft zu senden in der Hoffnung, sie möge auf offene Ohren treffen. Deshalb schreibe ich hier noch einmal den Satz auf, der mir von einer Frau, die ich bisher sehr schätzte, um die Ohren gehauen wurde:

„Das Benutzen von fremden menschlichen Körpern zur eigenen sexuellen Befriedigung als Dienstleistung zu definieren offenbart in meinen Augen die ganze Perversität des patriarchalen und kapitalistischen Systems.“

Ich überlasse es jetzt meinen Leser_innen, das für sie passende da hinein zu interpretieren.

God moves in a mysterious way.
(Ausschnitt aus Liveaufnahme der Aufführung der Kantate „Saint Nicolas“ von Benjamin Britten; Konzert vom 3.11.2013 in St. Johannis Hamburg-Harburg. Das mache mir erst mal eine/r nach)

Update: Kommentare aktiviert.
Update: Karlsruher Appel gegen Prostitution

Nicht wählen – eine Wahlentscheidung wie jede andere auch

Aus gegebenem Anlass möchte ich hier einmal eine Lanze für die allseits verschmähten, verhöhnten, diffamierten und in irgendwelche „heimlich-dies-oder-das-gewählt“- oder „andere-für-sich-wählen-lassen“-Schubladen gesteckten Nichtwähler brechen.

Rein rechtlich gesehen, und das finde ich sehr wichtig (und bedauerlich, dass viele Menschen es vergessen), gibt es in diesem Land ein Wahlrecht. Aber keine Wahlpflicht. Somit auch keinen Wahlzwang.

Wer Rechte hat, ist nicht verpflichtet, diese in Anspruch zu nehmen. Ein Beispiel dazu: Als ich Angestellte in einer Anstalt öffentlichen Rechts der Stadt Hamburg war, hatte ich mir durch jahrelange Zugehörigkeit ein Recht erworben, im Falle des Verkaufs dieser Anstalt an private Träger zur Stadt als Arbeitgeberin „zurückzukehren“. Ich hatte ein Rückkehrrecht. Der Fall trat ein, die AöR wurde privatisiert, und ich hätte mein „gutes“ Recht einlösen können. Verschiedene Gründe ließen mich aber damals anders entscheiden.

Ob die Entscheidung im Nachhinein gut war, steht auf einem anderen Blatt. Es ist allerdings müßig, darüber zu spekulieren, denn die Entwicklung lief nun einmal für mich so wie sie lief, ich bereue rein gar nichts. Frühere Rückkehrer konnten allerdings nicht an sich halten, mir zu bescheinigen, „wie blöd“ ich doch gewesen sei, dieses Recht nicht in Anspruch zu nehmen. Nun sähe ich ja, was ich davon hätte. Dass meine Lebensentscheidungen jedoch ganz allein meine Sache sind, die niemand beurteilen kann und deshalb auch niemand weder zu kommentieren noch abzuwerten hat, ist auch so eine Tatsache, die viele Menschen schlicht nicht begriffen haben.

Genau so sieht es auch mit dem Nichtwählen aus. Jede Wahlentscheidung hat ihre Berechtigung, ja selbst die, AfD zu wählen (aber ich bin sehr froh, dass es die 5%-Hürde gibt und grusele mich persönlich sehr, dass die es beinahe geschafft hätten). Wie können aber Menschen jetzt auf einmal die Stimmen, die CDU gewählt haben, höher bewerten als die Stimmen, die stumm blieben? Die der Menschen, die nicht wählen gegangen sind? Nicht von ihrem Recht, irgendwo auf einem Stimmzettel ein Kreuz zu setzen oder diesen leer in die Urne zu werfen, Gebrauch gemacht haben? Wer kann jemanden verurteilen, der für sich die Wahlentscheidung trifft, nicht wählen zu gehen?

Doch die Bewertung der abgegebenen Stimmen wird ja ohnehin sehr unterschiedlich gesetzt. Es ist ja praktisch von vornherein klar gewesen, dass Frau Merkel mit ihrer knapp verfehlten absoluten Mehrheit die Gewinnerin ist. Mit welchem Recht eigentlich? Sie bekam insgesamt nur knapp 30% Stimmen von 100% Wahlberechtigten, und hier sind die Nichtwähler mit eingerechnet. Weil ihre Meinung, ihre Nicht-Stimmen genau so viel bedeuten wie die Stimmen für die SPD, die Linke, die Grünen. Weil hinter den abgegebenen und nicht abgegebenen Stimmen Menschen stehen, die denken können, die Entscheidungen treffen können.

Wird davon nicht ausgegangen (auch wenn es vielleicht nicht in jedem Fall gegeben ist, aber das muss vernachlässigbar sein), sondern werden die Entscheidungen der Menschen unterschiedlich je nach Gutdünken und wie es gerade am besten in den Kram der Lobbyisten passt, bewertet, sind wir der Diktatur einen großen Schritt näher gekommen.

Wenn sie nicht längst schon da ist.

Liebe Kabel Deutschland

Liebe Kabel Deutschland,

heute bekam ich den zweiten merkwürdigen Brief von euch. Den ersten ähnlichen, auf den ich natürlich nicht reagiert habe, hatte ich schon vor Monaten bekommen mit dem Betreff „Beauftragung der Abschaltung Ihres Kabelanschlusses“.

Kabel_Deutschland_will_abschalten

Merkwürdig ist er deshalb, weil ich keine (und zwar seit über drei Jahren nicht mehr) Kundin bei euch bin. Allerdings wohne ich in dem von euch erwähnten Wohnobjekt. Gekündigt hatte ich meinen damaligen Vertrag mit euch aber lange vorher, als ich in der vorherigen Wohnung gemeldet war, doch seit ich in der neuen Wohnung wohne, habe ich nie, nicht ein einziges Mal, Kontakt zu euch aufgenommen.

Im Gegenteil. Irgendwie habt ihr ja Wind davon bekommen, dass ich nun hier wohne. Jedenfalls wurde ich wiederholt von euch persönlich mit Werbepost zugespamt. Deshalb landete sie ja auch trotz „Stop Werbung“-Aufkleber immer wieder in meinem Briefkasten. Ich habe niemals darauf reagiert, solche Post landete gleich im Altpapier.

Und nun weist ihr mich darauf hin, den von mir nicht genutzten Kabelanschluss abzuschalten, weil in eurer Datenbank kein Vermerk darüber zu finden ist, dass er genutzt wird.

Soll ich euch was verraten? Ich nutze euren Kabelanschluss tatsächlich nicht. Echt nicht. Die ganze Zeit nicht. Deswegen geht es mir auch total am Arsch vorbei, ob ihr ihn abschaltet oder nicht. Es ist mir herzlich egal.

Deshalb kann auch keine Rede davon sein, dass ihr von mir dazu beauftragt wurdet. Genau so wenig, wie ihr von mir seit meiner Kündigung zu IRGEND ETWAS beauftragt wurdet.

Eure Datenbank aber finde ich höchst interessant.

Doch macht, schaltet, waltet. Ihr werdet schon mitbekommen, falls ich mal hier ausziehen sollte, wer dann mein_e Nachmieter_in ist. Er/sie freut sich bestimmt auf Post von euch mit dem Hinweis, dass der ungenutzte Kabelanschluss bald stillgelegt wird.

Wird er nicht. In eurer Hoffnung, doch noch endlich jemanden zu überzeugen, den Anschluss zu nutzen.

Amüsierte Grüße.

Wer ist hier dick?

Nachdem vor einigen Tagen das Hashtag #waagnis über Twitter hallte und zahlreiche Blogartikel nach sich zog, ich mir den einen oder anderen durchgelesen habe und bei einem auch kommentierte (Antje Schrupp), muss ich nun doch noch meinen eigenen Senf zu diesem Thema dazu geben, denn ich bin betroffen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Vorerst: Mein Gewicht schwankte im Laufe meines Lebens wie ein Wetterbarometer. Ich war mir sogar mal nicht zu müßig, meine Gewichtsschwankungen seit meinem 18. Lebensjahr grafisch festzuhalten:

Gewichtskurve

(Über)gewichtige werden in unserer Gesellschaft gern als krank und defizitär abgestempelt. Sie fallen aus der „Norm“, und schon kommen Normgläubige daher und kategorisieren. Dazu gehören auch solche Menschen, die etwas moderatere Schubladen aufmachen, aber sie machen dennoch Schubladen auf. Ihr Fatbashing tritt dann in Worten wie „medizinisch übergewichtig“ oder „gesünderes Leben“ oder „aus dem Gleichgewicht geraten“ in Erscheinung.

Dabei zeigen Menschen, die aus der „Norm fallen“ („Norm“ in Anführungszeichen, weil es keine definierte Norm gibt, das ist ausschließlich eine Auslegungssache, und „fallen“ spricht auch für sich), lediglich, dass sie anders sind. Anders ist aber nicht gleichbedeutend mit schlechter oder defizitärer oder kranker oder verantwortungsloser. Überhaupt, Verantwortung. Gern wird an das Verantwortungsgefühl der „Aus-der-Norm-Fallenden“ appelliert. Selbst wer es einmal geschafft hat, von „außerhalb der Norm“ wieder „in die Norm“ zu kommen, stimmt freudig in dieses Lied mit ein: Ist er doch von einem Saulus zum Paulus mutiert, hat seine Verantwortung wahrgenommen und kann sich jetzt entspannt zurücklehnen, denn er ist der bessere Mensch.

Fragt sich nur, für wie lange. Es gibt keine Garantie dafür, dass ein Mensch „in der Norm“ bleibt. Er kann sich aus dieser auch ganz schnell wieder entfernen, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist sogar ziemlich hoch, wie Studien zeigen. Dass ehemals (Über)gewichtige nach einer Phase des Schlankseins (und „gesunden Lebens“) wieder rückfällig werden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Man sehe sich meine Gewichtskurve an. Es gab Zeiten, in denen ich schlank war. Aber sie dauerten nie lange, und meistens wurde ich von meinen guten Vorsätzen, der „Norm“ zu entsprechen und „gesünder“ zu leben, durch äußere Schicksalsschläge wieder abgebracht, ich sage heute eingeholt. Zu nennen seien Mobbing im Job, Tod eines nahen Angehörigen, Jobverlust, Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung, Verlust des Zuhauses. Aber auch weniger einschneidende Lebensereignisse können einen Menschen davon abbringen, seine ganze Kraft und sein ganzes Streben darein zu setzen, so zu agieren oder zu sein, wie es andere für einen als richtig erachten (zu den „anderen“ gehören auch Ärzte, Lehrer, Psychotherapeuten).

Die Gesellschaft geht mit ihren Mitmenschen ausgesprochen unmenschlich um, in dem sie ihre eigenen Defizite verdrängt und auf die sich anbietenden Menschen (Alkoholiker, (Über)gewichtige, Hartz-IV-Bezieher etc.) projiziert. Anstatt an ihren eigenen Missständen anzusetzen, drischt sie auf die Menschen ein, die Opfer ihrer Missstände geworden sind. Klar, es wird gern an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen appelliert. Es ist ja auch völlig richtig: Ein jeder fange bei sich selbst an. Aber: Es gibt Missstände, die liegen nun mal nicht in der Verantwortung des Einzelnen. Auch wenn es dem Menschen bewusst ist, dass übermäßiger Fleischkonsum schlecht für die Umwelt ist und er selbst anfangen kann, diesen einzuschränken, so frage man sich doch: Warum ist das denn so? Warum hat die Werbung uns jahrzehntelang eingetrichtert, Fleisch sei ein Stück Lebenskraft? Ich bin als Kind in diesem Glauben aufgewachsen. Und nun versuche man mal, die in der Kindheit verinnerlichten Überzeugungen über den Haufen zu werfen. Das geht zwar, aber dazu ist viel Zeit, Reflektion und Kraft nötig. Kraft, die nicht immer unbedingt da ist. Besonders dann nicht, wenn von Mitmenschen keinerlei Unterstützung zu erwarten ist.

Was nützt es mir, mir vorzustellen, von nichtmal einer Hand voll Reis überleben zu müssen? Gar nichts. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der diese Situation nicht gegeben ist. Dennoch haben die Menschen in den Regionen dieser Erde, für die das Realität ist, mein ganzes Mitgefühl. Ich kann auch was für sie tun, spenden etc. Aber muss ich mir deswegen von irgend welchen Menschen, die nicht ansatzweise wissen, wovon sie reden, vorwerfen lassen, ich sei verantwortungslos, weil (über)gewichtig? Ich bin es ziemlich leid, mir von anderen meine Lebensumstände erklärt und be(ver)urteilt zu bekommen, weil ich dummerweise in einem der reichsten Länder der Erde geboren und aufgewachsen bin statt in Bangladesh. Mit diesen subtilen „Angesichts des Hungers in dieser Welt“-Keulen auf jene einzudreschen, die nicht der perfiden Norm entsprechen und nicht „maßhalten“ können, ist genau das, was uns immer wieder vorgeworfen wird: Verantwortungsloses und unmenschliches Handeln. Das ist die wahre Maßlosigkeit, die auf diesem Globus ihr Unwesen treibt.

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So. Ich habe fertig.

Ne, doch nicht ganz: Sorry für das generische Maskulinum. Auch hier bin ich gerade wieder mal von der Macht der Gewohnheit überwältigt worden.

Und noch was: Ich bin als Kind in den Zaubertrank gefallen.

Update: Inwzischen bin ich dauerhaft meine Kilos los und habe Normalgewicht.

Frau und Mutter und Arbeit

Ein Erlebnisbericht

Als ich meinen Job verlor nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit, gönnte mir mein darüber untröstlicher Arbeitgeber, dass er mich leider nicht mehr beschäftigen wollte, ein so genanntes Outplacement. So etwas führen Agenturen durch, die sich auf dem Markt der arbeitssuchenden Führungs- und Fachkräfte etabliert haben, um ihnen wieder in Lohn und Brot zu verhelfen. Ich nahm das großzügige Angebot meines damaligen Arbeitgebers, das ein irres Geld kostete, zusammen mit der Abfindung an. Ich sah darin die Chance, beruflich eine völlig andere Richtung einzuschlagen.

Ich habe ganz gute Erfahrungen mit dieser Agentur gemacht. Meine Idee war, mich selbstständig zu machen, und die Agentur unterstützte mich in meinem Vorhaben. Ich wollte mich im Bereich klassische Musik selbstständig machen, was ich auch verwirklicht habe. Ob ich davon leben kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Meinem Berater gestand ich eines Tages (und schämte mich damals dafür, heute nicht mehr): Eigentlich wolle ich gar nicht mehr arbeiten. Ich sagte das aus einem Gefühl der tiefen Erschöpfung heraus. Ich habe wirklich genug geschuftet, mich aufgerieben, bin über meine Grenzen gegangen, habe mich selbst vernachlässigt, meine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, auf die Bedürfnisse meiner Seele nicht gehört. Nein, so wollte ich einfach nicht weiter machen.

Abhängig in irgend einem Unternehmen, in dem ich nicht als Mensch, sondern als Human Resource gelte, meine Arbeitskraft verkaufe und dafür ein festes Gehalt beziehe, wollte ich überhaupt nicht mehr arbeiten. Für mich ist das heute nichts anderes als Prostitution, etwas arbeiten für Geld, was ich mir nicht aussuchen kann, was mir vorgegeben wird, sowohl inhaltlich als auch zeitlich. Dafür, dass es sich im Grunde um eine Zwangsarbeit handelt, wird der Erwerbstätigkeit viel zu viel Wert beigemessen. Dass dem so ist, sehen und wissen immmer mehr Menschen. Die Diskussion findet gerade massiv rund um Hartz-IV statt.

Doch ich habe in meinem Leben nicht nur für den Gelderwerb gearbeitet. Ganz besonders nicht nach der Geburt meiner Kinder. Die andere Arbeit, die unbezahlte, die in dem Moment begann, in dem ich nach der Erwerbstätigkeit mit wehenden Fahnen in die KiTa hetzte, um die Kinder vor KiTa-Schluss noch rechtzeitig abzuholen, danach mit ihnen nach Hause eilte, das Frühstücksgeschirr vom Morgen beseitigte, ein Minimum an Haushalt erledigte wie Einkaufen, Hausaufgaben oder ähnliche Dinge, war ungleich anstrengender und zeitaufwändiger. Die Erwerbstätigkeit trat in den Hintergrund, in dem ich sie verkürzte, also auf Teilzeit umstieg. Damit stieg ich allerdings auch aus sämtlichen Möglichkeiten, beruflich weiter zu kommen, aus.

Eine Mutter kleiner Kinder, besonders wenn sie noch erwerbstätig ist, steht ständig unter Stress, Zeitdruck und dem Gefühl, nur noch zu rotieren, während andere es sich, aus ihrer Sicht, gut gehen lassen. Hinzu kommt auch noch die fehlende Anerkennung durch das Umfeld. Ich kann deshalb sehr gut verstehen, dass eine Mutter aggressiv reagiert, wenn sich um sie herum die Selbstverwirklichungsempfehlungen wie Hohngelächter ausmachen:

http://dasnuf.de/zeug/geht-euch-doch-selbstverwirklichen-ich-geh-arbeiten/

Damit nicht genug. Nach 15 Jahren Ehe die Scheidung, ich wohne seit dem mit meinen Kindern allein. Auch wenn das Sorgerecht beiden Elternteilen zusteht, so ist es doch ein verdammter Unterschied, ob einer noch mit im Haus wohnt und Aufgaben übernimmt oder seine Kinder nur alle zwei Wochen sieht. Ich mache jetzt alles allein, fast täglich einkaufen, den ganzen Haushalt schmeißen, und ganz nebenbei noch meine Selbstständigkeit aufbauen. Meine Kinder machen zwar inzwischen mit, aber nicht immer freiwillig. Auch ist mein Ex-Mann kooperativ und unterstützt finanziell wo er kann, das ist schon viel wert. Doch ohne externe finanzielle Unterstützung könnte ich derzeit gar nicht überleben. Mit anderen Worten: Aus eigener Kraft könnte ich momentan weder meine eigene Existenz noch die meiner Kinder sicher stellen.

Aber wer sagt eigentlich, dass der Mensch arbeiten müsse bis zum Umfallen? Dass er erst dann irgendwelche Ansprüche stellen darf, wenn er nachweisen kann, dass er schön brav jeden Tag irgend einer Tätigkeit nachgeht… ja, irgendeiner Tätigkeit, was bedeutet das denn für mich als Frau und Mutter? Ich gehe jeden Tag den Tätigkeiten nach, die unmittelbar mein Umfeld betreffen: Staubsaugen, Spülmaschine und Waschmaschine bedienen, Essen kochen, einkaufen, Klo putzen, Abflüsse reinigen, wenn sie verstopft sind (würg), Reparaturarbeiten, Haushalt mit allem drum und dran. Schulische Dinge: Entschuldigungen schreiben, Elternabende, mit Lehrern debattieren, Arztermine organisieren usw., Dinge, die ich nicht unbedingt gern tue, aber die getan werden müssen. Also tue ich sie, mit mal mehr mal weniger Elan oder Lust oder Begeisterung. Dennoch habe ich kein Problem damit, sie zu tun. Was mich stört, ist die mangelnde Anerkennung dafür und die Selbstverständlichkeit, dass sie erledigt werden ohne je dafür eine Gegenleistung fordern zu können geschweige denn zu bekommen. Und auch das Zugeständnis an meine Erschöpfung. Manchmal kann ich einfach nicht mehr.

Aber: Nur weil ich für meine Arbeit nicht bezahlt werde, bin ich deswegen kein minderwertiger Mensch! Genau das aber ist es, was wir glauben sollen, was dieses System uns einredet. Untermauert wird dies z. B. auch durch religiöse Werte („Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen„). Aber wenn die Menschen dieses Systems nur durch ihre Arbeit definiert werden, dann wird es auch Zeit, dass die unentgeltliche Sorge-, Pflege-, Erziehungs- und Drecksarbeit endlich mehr Anerkennung erhält und bezahlt wird. Ansonsten lebt eine ganze Gesellschaft auf Kosten der Mütter und Frauen, die sie leisten.

Die Dinge, die ich gern tue, tue ich dafür aber heute ganz bewusst ohne schlechtes Gewissen oder mich dafür weder vor mir noch vor irgend einem anderen Menschen zu rechtfertigen. Insofern verwirkliche ich mich gerade selbst, und zwar trotz oder genau deshalb, weil ich auch Arbeiten tue, die einer Notwendigkeit entsprechen und deshalb einfach gemacht werden müssen. Ich weiß, dass sie an sich keinen Wert haben. Denn der Wert liegt in mir als Mensch begründet und nicht in dem, was ich tue.