Liebe Kabel Deutschland

Liebe Kabel Deutschland,

heute bekam ich den zweiten merkwürdigen Brief von euch. Den ersten ähnlichen, auf den ich natürlich nicht reagiert habe, hatte ich schon vor Monaten bekommen mit dem Betreff „Beauftragung der Abschaltung Ihres Kabelanschlusses“.

Kabel_Deutschland_will_abschalten

Merkwürdig ist er deshalb, weil ich keine (und zwar seit über drei Jahren nicht mehr) Kundin bei euch bin. Allerdings wohne ich in dem von euch erwähnten Wohnobjekt. Gekündigt hatte ich meinen damaligen Vertrag mit euch aber lange vorher, als ich in der vorherigen Wohnung gemeldet war, doch seit ich in der neuen Wohnung wohne, habe ich nie, nicht ein einziges Mal, Kontakt zu euch aufgenommen.

Im Gegenteil. Irgendwie habt ihr ja Wind davon bekommen, dass ich nun hier wohne. Jedenfalls wurde ich wiederholt von euch persönlich mit Werbepost zugespamt. Deshalb landete sie ja auch trotz „Stop Werbung“-Aufkleber immer wieder in meinem Briefkasten. Ich habe niemals darauf reagiert, solche Post landete gleich im Altpapier.

Und nun weist ihr mich darauf hin, den von mir nicht genutzten Kabelanschluss abzuschalten, weil in eurer Datenbank kein Vermerk darüber zu finden ist, dass er genutzt wird.

Soll ich euch was verraten? Ich nutze euren Kabelanschluss tatsächlich nicht. Echt nicht. Die ganze Zeit nicht. Deswegen geht es mir auch total am Arsch vorbei, ob ihr ihn abschaltet oder nicht. Es ist mir herzlich egal.

Deshalb kann auch keine Rede davon sein, dass ihr von mir dazu beauftragt wurdet. Genau so wenig, wie ihr von mir seit meiner Kündigung zu IRGEND ETWAS beauftragt wurdet.

Eure Datenbank aber finde ich höchst interessant.

Doch macht, schaltet, waltet. Ihr werdet schon mitbekommen, falls ich mal hier ausziehen sollte, wer dann mein_e Nachmieter_in ist. Er/sie freut sich bestimmt auf Post von euch mit dem Hinweis, dass der ungenutzte Kabelanschluss bald stillgelegt wird.

Wird er nicht. In eurer Hoffnung, doch noch endlich jemanden zu überzeugen, den Anschluss zu nutzen.

Amüsierte Grüße.

Reiten – ein Stück Lebensgeschichte

Angepiekst durch Antje Schrupps Artikel über ihren Wunsch, in ihrer Jugend in den wilden Westen zu wollen, den sie auf die Blogparade über Pferdemädchen, angestoßen durch Anne Schüssler, geschrieben hat (und den ich, ohne vorher die Blogs gelesen zu haben, gleich kommentiert habe), schreibe ich jetzt auch noch was dazu. Hoffentlich schafft es dieser Artikel endlich in die Veröffentlichung, denn ich habe drei in der Pipeline, die vor sich hin garen, und sie wollen und wollen nicht fertig werden. Vielleicht werden sie es auch nie, wer weiß. Ich bin eben keine Bloggerin aus Leidenschaft, sondern aus Gelegenheit.

Deshalb ist es schön, einfach mal aus der Vergangenheit zu plaudern. Das Pferdethema ist ein schöner Aufhänger, denn ich war als Mädchen ganz vernarrt in Pferde. Ich fand, es sind die schönsten Tiere der Welt (noch vor Delfinen), und ich hatte schon früh den Wunsch, reiten zu lernen. Nicht, weil Klassenkameradinnen das auch taten oder weil es gerade angesagt war, sondern weil es mich dort hinzog, wo Pferde waren, ob auf der Weide oder als Kinderausreitpony an der Waldschänke, ein angesagtes Lokal am westlichen Rand von Hamburg in Rissen mitten im Wald, dem Klövensteen. Dort saß ich glaube ich auch das erste Mal auf einem Pferde(Pony)rücken, im Alter von acht Jahren oder so. Irgend ein Erwachsener bezahlte die paar Mark für einen Ausritt und ich durfte mich einer kleinen geführten Reitertruppe anschließen. Reiten konnte ich da aber noch kein Stück. Mein Pony hatte aber wohl überhaupt keine Lust, weiterhin Kinder durch die Gegend zu zotteln, entwickelte plötzlich einen ausgeprägten Stalldrang und kehrte auf halbem Weg einfach um, mit mir oben drauf. Es verfiel in schnellen Trab, ich ergriff die Zügel und bildete mir ein, ich könne dieses Pony lenken. Juhuuu, so hatte ich mir Reiten immer vorgestellt! Anstatt Angst zu bekommen, gab ich mich ganz dem schnellen Tempo hin, ritt beinahe diverse Waldspaziergänger um (das Pony, nicht ich, denn ich verhinderte das natürlich souverän durch meine Reitkünste) und fühlte mich total frei. Und schon war der Ritt zuende. Wir waren ja nicht weit weg gekommen vom Stall.

Dieses Erlebnis hat den Samen gepflanzt. Es dauerte aber noch ein paar Jahre, bis ich endlich reiten lernen durfte, da war ich zwölf. Es gab im Nachbardorf eine Reitschule, zu der ich mit dem Rad fuhr. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich am ersten Tag war, ja, ich hatte regelrecht Angst vor dem Neuen. Und die erste Stunde war auch alles andere als schön. Allein auf das Pferd zu kommen (kein Pony eben) war eine Qual, und ich kam mir ziemlich dämlich vor, weil ich nicht in den Steigbügel kam, der allerdings viel zu hoch hing. Es half mir auch keiner. Noch schlimmer war das Absteigen nach der Stunde, an die ich mich außer dem Gebrüll der Reitlehrerin nicht mehr erinnere: Anstatt die Füße aus den Bügeln zu nehmen, ließ ich sie drin, ließ mich vom Pferd fallen und landete promt im Holzspänenbodenbelag der Reithalle, weil der Fuß natürlich im Steigbügel hängen blieb. Ok. Aller Anfang ist schwer.

Verbissen fuhr ich jede Woche zum Reitunterricht, obwohl er mir überhaupt keinen Spaß machte. Nicht wegen der Pferde, sondern weil so mies mit mir umgegangen wurde. Als Anfängerin wurde ich von den Fortgeschritteneren so richtig von oben herab fertig gemacht, und die Reitlehrerin fand es auch völlig in Ordnung, mich immer nur anzuschnauzen, wenn ich mal wieder „durch die Länge der Bahn wechseln“ mit „durch die halbe Bahn wechseln“ verwechselt habe. Arrogantes Scheißreitervolk. Das habe ich damals schon gedacht.

Doch ich wechselte bald in einen anderen Reitstall. Das Klima dort war deutlich angenehmer und freundlicher. Es war ein kleiner Privatstall mit einem Unikum von Reitlehrer. Er war beliebt bei uns Mädels, (es gab unter uns Reitkindern nur einen Jungen), obwohl auch er ganz schön rumbrüllen konnte. Aber die meiste Zeit in den Reitstunden hat er sich um jede gekümmert, jede_n mal einzeln drangenommen. Bei dem habe ich viel gelernt. In dem Stall fand ich meine Freude zum Reiten und zu den Pferden wieder. Es gab Ausritte, wilde Galopps über Stoppelfelder, Sonntagsherrgottsfrühreitausflüge mit Rast, und köstlichstes klares Wasser aus dem Gartenschlauch nach schweißtreibenden Springübungen im Freien. Die Pflege der Pferde, Striegeln, Hufe auskratzen, Box ausmisten, Aufzäumen, Satteln usw. waren Dinge, die ich gern tat. Wir kümmerten uns um ein Pferd, das wir auch ritten. Mein Pferd hieß Geck, ein Fuchswallach. Er war etwas behäbig, musste eher getrieben als gebremst werden, aber das lag mir. Mit ihm freundete ich mich richtig an.

Doch diese Zeit dauerte nicht lange, dann wurde der Stall von anderen Besitzern übernommen, die eine offizielle Reitschule daraus machten. Und schon war daraus ein ähnlicher Massenbetrieb geworden wie der Stall, in dem ich anfing. Der kuriose Reitlehrer wurde gefeuert, an seine Stelle kam ein anderer, der auch wieder diese „IM ARBEITSTEMPO TEEEEERRRAPPPP!“-Brüllmentalität drauf hatte. Ich blieb trotzdem dort, ich konnte inzwischen ja ganz gut reiten. Aber der Spaß war irgendwie flöten. Ich lernte auch nichts mehr. Und eines Tages bockte mein Pferd, ich stürzte herunter, was ansich nicht schlimm war, ich hatte gelernt, wie man elegant fällt. Diesmal allerdings ging es schief. Ich fiel auf meinen rechten Arm und kugelte mir das Ellenbogengelenk aus. Solche Schmerzen wünsche ich keinem. Eine lange Rekonvaleszenzzeit folgte. Ich fing danach zwar wieder an zu reiten, aber nur noch halbherzig und mit Angst behaftet und nur noch für kurze Zeit. Den alten Reitlehrer von früher fand ich wieder in einem anderen privaten Reitstall. Einmal ritt ich dort, da meinte er, ich sei ja richtig von seinem Nachfolger „versaut“ worden. Da wusste ich: Das mit dem Reiten hat sich für mich erledigt.

Später wollte ich es mit Anfang zwanzig noch einmal wissen: Ich buchte Reitstunden in einem Dorf nahe meiner Ausbildungsstätte. Da durfte ich dann in der Kinder-Anfängergruppe an der Longe reiten. So schlecht war ich also geworden. Zwei Stunden hielt ich das durch, dann ging ich nicht mehr hin.

Wenn ich so daran denke jetzt, wo ich das schreibe, tut mir das eigentlich in der Seele weh.

Wer ist hier dick?

Nachdem vor einigen Tagen das Hashtag #waagnis über Twitter hallte und zahlreiche Blogartikel nach sich zog, ich mir den einen oder anderen durchgelesen habe und bei einem auch kommentierte (Antje Schrupp), muss ich nun doch noch meinen eigenen Senf zu diesem Thema dazu geben, denn ich bin betroffen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Vorerst: Mein Gewicht schwankte im Laufe meines Lebens wie ein Wetterbarometer. Ich war mir sogar mal nicht zu müßig, meine Gewichtsschwankungen seit meinem 18. Lebensjahr grafisch festzuhalten:

Gewichtskurve

(Über)gewichtige werden in unserer Gesellschaft gern als krank und defizitär abgestempelt. Sie fallen aus der „Norm“, und schon kommen Normgläubige daher und kategorisieren. Dazu gehören auch solche Menschen, die etwas moderatere Schubladen aufmachen, aber sie machen dennoch Schubladen auf. Ihr Fatbashing tritt dann in Worten wie „medizinisch übergewichtig“ oder „gesünderes Leben“ oder „aus dem Gleichgewicht geraten“ in Erscheinung.

Dabei zeigen Menschen, die aus der „Norm fallen“ („Norm“ in Anführungszeichen, weil es keine definierte Norm gibt, das ist ausschließlich eine Auslegungssache, und „fallen“ spricht auch für sich), lediglich, dass sie anders sind. Anders ist aber nicht gleichbedeutend mit schlechter oder defizitärer oder kranker oder verantwortungsloser. Überhaupt, Verantwortung. Gern wird an das Verantwortungsgefühl der „Aus-der-Norm-Fallenden“ appelliert. Selbst wer es einmal geschafft hat, von „außerhalb der Norm“ wieder „in die Norm“ zu kommen, stimmt freudig in dieses Lied mit ein: Ist er doch von einem Saulus zum Paulus mutiert, hat seine Verantwortung wahrgenommen und kann sich jetzt entspannt zurücklehnen, denn er ist der bessere Mensch.

Fragt sich nur, für wie lange. Es gibt keine Garantie dafür, dass ein Mensch „in der Norm“ bleibt. Er kann sich aus dieser auch ganz schnell wieder entfernen, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist sogar ziemlich hoch, wie Studien zeigen. Dass ehemals (Über)gewichtige nach einer Phase des Schlankseins (und „gesunden Lebens“) wieder rückfällig werden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Man sehe sich meine Gewichtskurve an. Es gab Zeiten, in denen ich schlank war. Aber sie dauerten nie lange, und meistens wurde ich von meinen guten Vorsätzen, der „Norm“ zu entsprechen und „gesünder“ zu leben, durch äußere Schicksalsschläge wieder abgebracht, ich sage heute eingeholt. Zu nennen seien Mobbing im Job, Tod eines nahen Angehörigen, Jobverlust, Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung, Verlust des Zuhauses. Aber auch weniger einschneidende Lebensereignisse können einen Menschen davon abbringen, seine ganze Kraft und sein ganzes Streben darein zu setzen, so zu agieren oder zu sein, wie es andere für einen als richtig erachten (zu den „anderen“ gehören auch Ärzte, Lehrer, Psychotherapeuten).

Die Gesellschaft geht mit ihren Mitmenschen ausgesprochen unmenschlich um, in dem sie ihre eigenen Defizite verdrängt und auf die sich anbietenden Menschen (Alkoholiker, (Über)gewichtige, Hartz-IV-Bezieher etc.) projiziert. Anstatt an ihren eigenen Missständen anzusetzen, drischt sie auf die Menschen ein, die Opfer ihrer Missstände geworden sind. Klar, es wird gern an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen appelliert. Es ist ja auch völlig richtig: Ein jeder fange bei sich selbst an. Aber: Es gibt Missstände, die liegen nun mal nicht in der Verantwortung des Einzelnen. Auch wenn es dem Menschen bewusst ist, dass übermäßiger Fleischkonsum schlecht für die Umwelt ist und er selbst anfangen kann, diesen einzuschränken, so frage man sich doch: Warum ist das denn so? Warum hat die Werbung uns jahrzehntelang eingetrichtert, Fleisch sei ein Stück Lebenskraft? Ich bin als Kind in diesem Glauben aufgewachsen. Und nun versuche man mal, die in der Kindheit verinnerlichten Überzeugungen über den Haufen zu werfen. Das geht zwar, aber dazu ist viel Zeit, Reflektion und Kraft nötig. Kraft, die nicht immer unbedingt da ist. Besonders dann nicht, wenn von Mitmenschen keinerlei Unterstützung zu erwarten ist.

Was nützt es mir, mir vorzustellen, von nichtmal einer Hand voll Reis überleben zu müssen? Gar nichts. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der diese Situation nicht gegeben ist. Dennoch haben die Menschen in den Regionen dieser Erde, für die das Realität ist, mein ganzes Mitgefühl. Ich kann auch was für sie tun, spenden etc. Aber muss ich mir deswegen von irgend welchen Menschen, die nicht ansatzweise wissen, wovon sie reden, vorwerfen lassen, ich sei verantwortungslos, weil (über)gewichtig? Ich bin es ziemlich leid, mir von anderen meine Lebensumstände erklärt und be(ver)urteilt zu bekommen, weil ich dummerweise in einem der reichsten Länder der Erde geboren und aufgewachsen bin statt in Bangladesh. Mit diesen subtilen „Angesichts des Hungers in dieser Welt“-Keulen auf jene einzudreschen, die nicht der perfiden Norm entsprechen und nicht „maßhalten“ können, ist genau das, was uns immer wieder vorgeworfen wird: Verantwortungsloses und unmenschliches Handeln. Das ist die wahre Maßlosigkeit, die auf diesem Globus ihr Unwesen treibt.

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So. Ich habe fertig.

Ne, doch nicht ganz: Sorry für das generische Maskulinum. Auch hier bin ich gerade wieder mal von der Macht der Gewohnheit überwältigt worden.

Und noch was: Ich bin als Kind in den Zaubertrank gefallen.

Update: Inwzischen bin ich dauerhaft meine Kilos los und habe Normalgewicht.

Verpackungswahn

Ich habe kürzlich bei einem Kunstbedarflieferanten zwei Wechselrahmen und einen Keilrahmen in relativ großem Format bestellt. Heute kam das Paket an, alles ok soweit, aber das Paket war so seltsam schwer. Kein Wunder: Die drei Teile waren mit insgesamt 30 (!) Bögen Packpapier im ca. Meter-mal-80- Format verpackt, zum großen Teil völlig unbeschädigt. Die Verpackung selbst: Dickster Pappkarton, der jede Ikea-Verpackung alt aussehen lässt. Da lachte mein Künstlerherz über so viel umsonst und unbestelltes geschenktes Material. Was ich damit alles anstellen kann 🙂

Frau und Mutter und Arbeit

Ein Erlebnisbericht

Als ich meinen Job verlor nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit, gönnte mir mein darüber untröstlicher Arbeitgeber, dass er mich leider nicht mehr beschäftigen wollte, ein so genanntes Outplacement. So etwas führen Agenturen durch, die sich auf dem Markt der arbeitssuchenden Führungs- und Fachkräfte etabliert haben, um ihnen wieder in Lohn und Brot zu verhelfen. Ich nahm das großzügige Angebot meines damaligen Arbeitgebers, das ein irres Geld kostete, zusammen mit der Abfindung an. Ich sah darin die Chance, beruflich eine völlig andere Richtung einzuschlagen.

Ich habe ganz gute Erfahrungen mit dieser Agentur gemacht. Meine Idee war, mich selbstständig zu machen, und die Agentur unterstützte mich in meinem Vorhaben. Ich wollte mich im Bereich klassische Musik selbstständig machen, was ich auch verwirklicht habe. Ob ich davon leben kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Meinem Berater gestand ich eines Tages (und schämte mich damals dafür, heute nicht mehr): Eigentlich wolle ich gar nicht mehr arbeiten. Ich sagte das aus einem Gefühl der tiefen Erschöpfung heraus. Ich habe wirklich genug geschuftet, mich aufgerieben, bin über meine Grenzen gegangen, habe mich selbst vernachlässigt, meine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, auf die Bedürfnisse meiner Seele nicht gehört. Nein, so wollte ich einfach nicht weiter machen.

Abhängig in irgend einem Unternehmen, in dem ich nicht als Mensch, sondern als Human Resource gelte, meine Arbeitskraft verkaufe und dafür ein festes Gehalt beziehe, wollte ich überhaupt nicht mehr arbeiten. Für mich ist das heute nichts anderes als Prostitution, etwas arbeiten für Geld, was ich mir nicht aussuchen kann, was mir vorgegeben wird, sowohl inhaltlich als auch zeitlich. Dafür, dass es sich im Grunde um eine Zwangsarbeit handelt, wird der Erwerbstätigkeit viel zu viel Wert beigemessen. Dass dem so ist, sehen und wissen immmer mehr Menschen. Die Diskussion findet gerade massiv rund um Hartz-IV statt.

Doch ich habe in meinem Leben nicht nur für den Gelderwerb gearbeitet. Ganz besonders nicht nach der Geburt meiner Kinder. Die andere Arbeit, die unbezahlte, die in dem Moment begann, in dem ich nach der Erwerbstätigkeit mit wehenden Fahnen in die KiTa hetzte, um die Kinder vor KiTa-Schluss noch rechtzeitig abzuholen, danach mit ihnen nach Hause eilte, das Frühstücksgeschirr vom Morgen beseitigte, ein Minimum an Haushalt erledigte wie Einkaufen, Hausaufgaben oder ähnliche Dinge, war ungleich anstrengender und zeitaufwändiger. Die Erwerbstätigkeit trat in den Hintergrund, in dem ich sie verkürzte, also auf Teilzeit umstieg. Damit stieg ich allerdings auch aus sämtlichen Möglichkeiten, beruflich weiter zu kommen, aus.

Eine Mutter kleiner Kinder, besonders wenn sie noch erwerbstätig ist, steht ständig unter Stress, Zeitdruck und dem Gefühl, nur noch zu rotieren, während andere es sich, aus ihrer Sicht, gut gehen lassen. Hinzu kommt auch noch die fehlende Anerkennung durch das Umfeld. Ich kann deshalb sehr gut verstehen, dass eine Mutter aggressiv reagiert, wenn sich um sie herum die Selbstverwirklichungsempfehlungen wie Hohngelächter ausmachen:

http://dasnuf.de/zeug/geht-euch-doch-selbstverwirklichen-ich-geh-arbeiten/

Damit nicht genug. Nach 15 Jahren Ehe die Scheidung, ich wohne seit dem mit meinen Kindern allein. Auch wenn das Sorgerecht beiden Elternteilen zusteht, so ist es doch ein verdammter Unterschied, ob einer noch mit im Haus wohnt und Aufgaben übernimmt oder seine Kinder nur alle zwei Wochen sieht. Ich mache jetzt alles allein, fast täglich einkaufen, den ganzen Haushalt schmeißen, und ganz nebenbei noch meine Selbstständigkeit aufbauen. Meine Kinder machen zwar inzwischen mit, aber nicht immer freiwillig. Auch ist mein Ex-Mann kooperativ und unterstützt finanziell wo er kann, das ist schon viel wert. Doch ohne externe finanzielle Unterstützung könnte ich derzeit gar nicht überleben. Mit anderen Worten: Aus eigener Kraft könnte ich momentan weder meine eigene Existenz noch die meiner Kinder sicher stellen.

Aber wer sagt eigentlich, dass der Mensch arbeiten müsse bis zum Umfallen? Dass er erst dann irgendwelche Ansprüche stellen darf, wenn er nachweisen kann, dass er schön brav jeden Tag irgend einer Tätigkeit nachgeht… ja, irgendeiner Tätigkeit, was bedeutet das denn für mich als Frau und Mutter? Ich gehe jeden Tag den Tätigkeiten nach, die unmittelbar mein Umfeld betreffen: Staubsaugen, Spülmaschine und Waschmaschine bedienen, Essen kochen, einkaufen, Klo putzen, Abflüsse reinigen, wenn sie verstopft sind (würg), Reparaturarbeiten, Haushalt mit allem drum und dran. Schulische Dinge: Entschuldigungen schreiben, Elternabende, mit Lehrern debattieren, Arztermine organisieren usw., Dinge, die ich nicht unbedingt gern tue, aber die getan werden müssen. Also tue ich sie, mit mal mehr mal weniger Elan oder Lust oder Begeisterung. Dennoch habe ich kein Problem damit, sie zu tun. Was mich stört, ist die mangelnde Anerkennung dafür und die Selbstverständlichkeit, dass sie erledigt werden ohne je dafür eine Gegenleistung fordern zu können geschweige denn zu bekommen. Und auch das Zugeständnis an meine Erschöpfung. Manchmal kann ich einfach nicht mehr.

Aber: Nur weil ich für meine Arbeit nicht bezahlt werde, bin ich deswegen kein minderwertiger Mensch! Genau das aber ist es, was wir glauben sollen, was dieses System uns einredet. Untermauert wird dies z. B. auch durch religiöse Werte („Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen„). Aber wenn die Menschen dieses Systems nur durch ihre Arbeit definiert werden, dann wird es auch Zeit, dass die unentgeltliche Sorge-, Pflege-, Erziehungs- und Drecksarbeit endlich mehr Anerkennung erhält und bezahlt wird. Ansonsten lebt eine ganze Gesellschaft auf Kosten der Mütter und Frauen, die sie leisten.

Die Dinge, die ich gern tue, tue ich dafür aber heute ganz bewusst ohne schlechtes Gewissen oder mich dafür weder vor mir noch vor irgend einem anderen Menschen zu rechtfertigen. Insofern verwirkliche ich mich gerade selbst, und zwar trotz oder genau deshalb, weil ich auch Arbeiten tue, die einer Notwendigkeit entsprechen und deshalb einfach gemacht werden müssen. Ich weiß, dass sie an sich keinen Wert haben. Denn der Wert liegt in mir als Mensch begründet und nicht in dem, was ich tue.

Das Gute im Menschen

Eigentlich glaube ich ja daran. Ich glaube, dass jeder Mensch im Grunde seines Herzens Gutes tun will, seinen Mitmenschen nur das beste wünscht und bei der Verwirklichung seiner Träume die besten Absichten hegt.

Ich erlebe es aber gerade wieder anders. Da baue ich vor ein paar Wochen einen Unfall, mitten in der Nacht beim Fahrspurwechsel, weil ich dachte, ich sei allein auf weiter Flur, dabei fuhr schräg hinter mir noch ein Fahrzeug. Und krach. Bagatellschaden, noch nicht mal eine Beule, nur ein paar schwarze Kratzer vom dem wie es den Anschein hatte nigelnagelneuen Mercedes. Ärgerlich sowas, ich hatte nicht aufgepasst und war natürlich Schuld. Dennoch habe ich die Polizei gerufen, musste mir deshalb von dieser einen dummen Spruch anhören („Und deshalb rufen Sie die Polizei?“ – Ey, muss ich mich etwa dafür rechtfertigen, oder was?). Meinem Unfallgegner war das sichtlich unangenehm. Dennoch war er mir gegenüber ausgesprochen höflich, wir tauschten Kontaktdaten aus, ich übergab meine Versicherungskarte, und damit war es erstmal erledigt.

Heute, genau heute, bin ich froh, dass ich die Polizei gerufen habe. So ist der Unfall nämlich aktenkundig geworden. Mein höflicher Unfallgegner hat meiner Versicherung gegenüber einen Schaden von 6000 € geltend gemacht. Die beauftragte daraufhin einen Gutachter, der heute intensiv mein Auto mit den paar Kratzern unter die Lupe nahm und mir dabei Haarsträubendes erzählte:

Der Mercedes war keineswegs nagelneu, sondern wies schon einen kaschierten Heckschaden auf. Er hatte damals ein rotes Nummernschild, angeblich gerade zugelassen für einen Händler. Inzwischen ist er wieder abgemeldet.

Ich soll angeblich die gesamte linke Seite des Mercedes geschrammt und ihn dabei noch gegen den Kantstein gedrückt haben. Und warum habe ich ihn eigentlich übersehen? Angeblich hielt er schon an der Kreuzung vorher neben mir an der Ampel, doch er ist mir nicht aufgefallen. Meinem Beifahrer auch nicht. Kann es sein, dass er gar nicht von dort kam?

Mein höflicher Unfallgegner ist Autohändler und arbeitet mit seinen beiden Brüdern zusammen, die diese Masche abziehen: Unfall bewusst provozieren und Versicherungen abzocken. Seine Freundin fungiert hierbei als Halterin der „neu“ zugelassenen Luxuskarossen, die in Wirklichkeit nur Crashkisten sind.

Tja, das Gute im Menschen hängt bei manchen eben sehr am Geld, und um an dieses zu kommen, ist jedes Mittel recht. Sich selbst der Nächste sein, aber nicht im Sinne von Selbstreflexion, sondern im Sinne von Selbstbereicherung auf Kosten anderer.

Kriminelle eben, auch wenn sie noch so höflich sind. Das Böse wäre nicht das Böse, wenn es nicht als das Gute verkleidet in Erscheinung träte.

Der Wettermoderator

Ohne Worte.

Update: Unterstellungen sind immer Übergriffigkeiten und geschehen deshalb niemals zu Recht.

Übergriffige Menschen

Übergriffige Menschen sehen alles, was sie tun, als richtig an. Das was für sie gilt, gilt auch für alle anderen. Ihre Überzeugungen, Standpunkte und Verhaltensmuster sind die einzig richtigen.

Übergriffige Menschen können nicht zuhören. Teilen andere ihnen etwas mit, sieht es zwar erst so aus. Doch die Botschaften kommen nicht im Sinne des Botschafters, sondern gefiltert durch ihre Überzeugungsfilter nur in ihrem Sinne interpretiert an. Sie missverstehen alles, was von anderen Menschen an sie heran getragen wird. Werden sie später überdeutlich auf ihre Missverständnisse hingewiesen, so dass sie sie nicht mehr verleugnen können, dann waren es die anderen, die sich nicht richtig ausgedrückt oder nicht umfassend informiert haben. „Das hast du mir aber gar nicht gesagt!“ sagen sie, oder „Das hättest du aber vorher sagen müssen!“ oder „Das hörte sich von dir aber ganz anders an!“.

Übergriffige Menschen glauben, anderen helfen zu müssen. Sie glauben, im Sinne der angeblich Hilfebedürftigen zu handeln. Dabei wissen sie noch nicht einmal, ob andere, die sie für hilfsbedürftig halten, erstens ihre Hilfe brauchen und zweitens ihre Hilfe wollen. Denn gefragt haben sie sie nicht. Der Grund ist, dass sie tatsächlich glauben, zu wissen, was für die anderen gut oder schlecht ist, und zwar besser als diese selbst. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff Helfersyndrom bekannt. Es dient den übergriffigen Menschen dazu, sich selbst größer zu fühlen als andere. Weil sie in Wirklichkeit ganz klein und mickrig sind.

Werden übergriffige Menschen von den von ihnen beglückten Menschen abgewiesen (weil diese sie durchschauen), verwandeln sich die guten Ratschläge und Hilfsangebote in Vorwürfe und Verurteilungen. Sie reagieren beleidigt, weil ihre wohlmeinenden und gut gemeinten Hilfsangebote nicht angenommen werden. Dann sagen sie: „Aber ich habe es doch nur gut gemeint!“ oder „Aber ich wollte dir doch nur helfen!“ oder noch schlimmer „Ich habe dir geholfen, und jetzt bist du so undankbar!“ oder „Du bringst mich in die peinliche Lage, dir Selbstverständlichkeiten sagen zu müssen!“ o.ä..

Übergriffige Menschen sind zur Reflexion ihres eigenen Verhaltens nicht fähig.

Übergriffige Menschen machen andere für ihr Elend, ihre Fehlentscheidungen, ihre Erwartungen, ihre Defizite verantwortlich.

Übergriffige Menschen können nichts wertfrei betrachten, sie urteilen und werten (meistens ab). Anderen Menschen teilen sie nichts von sich mit, sondern belehren sie mit ihren niemals falschen Ansichten.

Übergriffige Menschen reden niemals von sich, immer nur von anderen und über andere.

Übergriffige Menschen sind nicht offen für das, was andere Menschen bewegt. Sie kreisen nur um sich selbst und wissen noch nicht einmal, warum es ihnen eigentlich so schlecht geht.

Übergriffige Menschen sind Energievampire. Sie stehlen mit ihren Hilfsangeboten und Ratschlägen die Energie und die Zeit anderer Menschen, um die so dringend benötigte Aufmerksamkeit zu erlangen.

Übergriffige Menschen verachten andere Menschen und vor allem sich selbst.

Übergriffige Menschen sind nicht kreativ, sondern reaktiv.

Übergriffige Menschen sind sich selbst nicht bewusst. Sie sind nicht selbstbewusst und deshalb auch nicht erwachsen. Sie verleugnen sich und wissen nicht, wer sie eigentlich sind.

Aber es gibt Hoffnung für sie. Wenn sie anfangen, ihre angelernten Überzeugungen, Verhaltensmuster und Standpunkte zu hinterfragen, werden sie sich in Richtung auf sich selbst entwickeln. Dann erst werden sie in die Lage versetzt, sich selbst und andere Menschen so zu lassen wie sie sind.

Problematische Verhaltensweisen und Überzeugungen

Beziehungen auf Augenhöhe können gelingen, wenn sich die beteiligten Menschen bestimmte Dinge bewusst machen, die im zwischenmenschlichen kommunikativen Geschehen passieren können. Dazu gehören Verhaltensweisen, die problematisch sind und Beziehungen schwer belasten können. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie auf unbewusster Ebene ablaufen. Konkret handelt es sich um stereotype Überzeugungen und rigide angelernte Verhaltensmuster.

Hier nun die für mich auffälligsten:

Gefühle kleinreden
Spricht jemand über seine Gefühle, dann ist die unangemessenste Reaktion darauf, sie klein zu reden, abzuwerten oder zu versuchen, sie ihm ausreden zu wollen. Jemand, der sich einem anderen Menschen anvertraut und ihm erzählt, wie es ihm gerade wirklich geht, offenbart damit sein Innerstes. Versucht der Gesprächspartner, ihm diese Gefühle auszureden oder sie nicht zur Kenntnis zu nehmen, fühlt sich der Mensch nicht ernst genommen, nicht wahr genommen, abgewertet, verletzt in seiner Offenbarung und beschämt.

Die angemessene Reaktion ist also, den erzählenden Menschen ernst zu nehmen, ihm zuzuhören und seine Worte ohne Ratschläge einfach zur Kenntnis zu nehmen. Ist man selbst sehr betroffen davon, kann man dies sagen und in sich hinein hören, was einen selbst daran so betroffen macht. Meistens ist genau dies aber auch der Grund, warum andere Menschen ihre Gefühle nicht sagen dürfen. Weil es berühren kann. Im schlimmsten Fall unangenehm.

Nicht zuhören können
Wirklich zuhören können viele Menschen nicht. Zuhören bedeutet, sich für die Worte des anderen zu öffnen und sie auf sich wirken zu lassen. Die meisten öffnen sich aber gar nicht, sondern lauern in einer Art Verteidigungs- oder Abwehrposition, checken die Botschaften der anderen auf eventuell vorhandene Angriffe ab und gehen sofort zum Gegenangriff über, sobald sie meinen, etwas gegen sie gerichtetes heraus gehört zu haben. Sie wissen nicht, dass sie nur ihrer eigenen Interpretation erliegen. Wirkliches Zuhören interpretiert nicht, sondern nimmt einfach nur auf, ohne sofort auf die Botschaften reagieren zu müssen. Das ist keine leichte Übung. Wer das noch nie bewusst geübt hat, weiß gar nicht, was es heißt, anderen zuzuhören. Ein schweres Defizit im Umgang mit anderen Menschen.

Nicht von sich reden / bei sich bleiben können
Ein kleines Beispiel aus meinem heutigen Twitterstream: Da schrieb jemand, die „…Leute twittern über Missstände, handeln aber nicht“. Der erste Teil des Satzes ist eine Feststellung, der zweite eine Unterstellung (ganz abgesehen davon, dass auch twittern eine Handlung ist). Wer so etwas sagt/schreibt, bleibt nicht bei sich, sondern spricht von anderen/über andere/gemeindet andere mit ein. Wer nicht bei sich bleibt und andere Menschen in seine Aussagen ungefragt einbezieht, handelt übergriffig. Jeder Übergriff, und sei er noch so subtil, geht immer auf Kosten anderer. Das kann auch ein Witz sein. Deshalb ist es so wichtig, zu unterscheiden, was einen selbst bewegt und dem, was nur andere von sich sagen können und wollen. Feine Unterschiede? Ja, aber elementar.

Urteilen und (ab)werten
Urteile sind meistens mit Abwertung verbunden. Andere Menschen abzuwerten dient nur dem Zweck, sich selbst aufzuwerten. Insofern sind Verurteilungen anderer in Wirklichkeit Selbstverurteilungen. Doch man kann an seinem eigenen Selbstwertgefühl arbeiten, und je mehr man davon erlangt, desto weniger wird man Urteile und Abwertungen nötig haben.

Daher ist es wichtig, sich immer wieder sein eigenes Verhalten vor Augen zu führen: Rede ich gerade von mir oder bin ich dabei, über andere ein Urteil zu sprechen? Salopp ausgedrückt, sie in bestimmte Schubladen zu stecken? Auch dieses Verhalten ist übergriffig. Menschen, die von anderen in Schubladen gesteckt werden, können nichts dagegen tun außer eine Klarstellung zu versuchen. Wenn der andere Mensch geübt ist im Reflektieren, wird er sein Urteil revidieren. Aber das ist selten. Deshalb für alle Menschen, die sich in Schubladen gesteckt fühlen und über die immer wieder geurteilt wird: Es hat nicht das Geringste mit euch zu tun. Ihr wisst es sowieso besser.

Projektionen
Die Projektion beschreibt das unbewusste Verantwortlichmachen anderer für eigene Defizite und Gefühle aufgrund übergroßer Ängste vor der eigenen Verantwortung, die ein Abwehrmechanismus ist. Interessant und auffällig an projizierenden Menschen ist, dass sie exakt das, was sie anderen vorwerfen, selbst tun, häufig im selben Satz oder Atemzug. Je heftiger die Projektion, desto mehr kann davon ausgegangen werden, dass bei der Person genau die Defizite zu finden sind, die sie bei anderen sieht. Wir sind alle nicht frei davon und projizieren ganz gerne mal unangenehme Gefühle in unserem Inneren auf sich anbietende Mitmenschen. Man kann sie aber entlarven und sich darin üben, dieses ungesunde Verhalten, das Beziehungen extrem belasten und schwere soziale Konflikte nach sich ziehen kann, zu verlernen. Doch Projektionen auf die Schliche zu kommen setzt ein hohes Maß an Selbstreflexion vorraus und erfordert jahrelanges Üben.

Mit zweierlei Maß messen
„Was für mich gilt, das gilt für dich noch lange nicht“. So funktioniert aber die Begegnung auf Augenhöhe nicht. Viele messen unbewusst mit zweierlei Maß, gestehen sich selbst bestimmte Freiheiten, Unzulänglichkeiten, Menschlichkeiten zu. Doch andere müssen sich, wenn sie sich genau so verhalten, strengste Urteile von ihnen gefallen lassen. Das ist sehr schön am Patriarchat der derzeitigen Gesellschaft zu beobachten: Männer dürfen vieles, was Frauen, tun sie es genau so, schärfste Kritik und Verurteilungen beschert. Auch dieses Verhalten ist ein sehr problematisches, weil es massiv irritiert und für andere nicht berechenbar ist.

Die Überzeugung, andere Menschen ändern zu können
Ein weit verbreiteter Irrtum. Vor allem ist die Annahme irrig, man könne Menschen in seinem eigenen Sinne ändern. Man hat auf andere nur dann einen gewissen Einfluss, wenn diese entscheiden, den Einfluss zuzulassen. Es kann zwar auf den ersten Blick so aussehen, als ob manche Menschen auf andere Einfluss hätten. In Wirklichkeit geschieht das oft nur deshalb, weil der andere Mensch unbewusst dem anderen Macht über sich gibt. Er handelt also gar nicht frei, sondern sieht sich innerhalb eines Machtgefüges zu einem Handeln gezwungen, das er eigentlich gar nicht will. Wird ihm dies aber eines Tages bewusst (was ihm zu wünschen ist), bricht das Gefüge wie ein Kartenhaus zusammen. Der Mensch hat die Manipulation durchschaut und wird sich ändern, aber nur in seinem eigenen Sinn- und Entwicklungsraum. Andere werden dann immer weniger Einfluss ausüben können auf ihn.

Die Überzeugung, an einem Missstand sei ausschließlich der andere Schuld
Jeder hat einen Anteil an einer Situation. Diese Tatsache ist aber den wenigsten Menschen bewusst. Unterschiedlich ist nur die Größe des Anteils. Und wenn der Anteil nur der ist, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Aber das ist nicht das Problematische. Problematisch ist, dass viele Menschen ihren Anteil leugnen oder gar nicht erkennen, ja gar nicht wissen, dass sie überhaupt einen Anteil haben. Die größten Anteilleugner sind die, die oft auch den größten Anteil haben.
(Update: Als ich dies schrieb, hatte ich den Begriff Victimblaming, also Täter-Opfer-Umkehr oder Schuldumkehr noch nicht gehört. Heute weiß ich, dass ich nicht für alles verantwortlich gemacht werden kann, was mir passiert. Dies gilt insbesondere für Gewalt, auch verbale.)

Beleidigte-Leberwurst-Verhalten
Eine der unangenehmsten Verhaltensweisen. Menschen, die ständig wegen irgend etwas beleidigt sind, sind für ihre Mitmenschen extrem anstrengend. Sie sind auch nicht in der Lage, ihr Verhalten zu reflektieren, sondern machen andere für ihre eigenen Fehlverhalten verantwortlich. Woran kann man dieses Verhalten erkennen? Es gibt einen Unterschied zwischen beleidigt sein und zutiefst in der Seele verletzt sein: Das erste ist eine Kränkung des Egos aus einem Defizit heraus, das zweite eine Verletzung der Person in ihrer Würde. Ich sehe auch einen Unterschied zwischen Kränkung und Verletzung: Kränkung ist oberflächlich, hat ausschließlich etwas mit der gekränkten Person zu tun und nichts mit der, die versehentlich die Kränkung ausgelöst hat (für die eigenen Fettnäpfchen ist jede selbst verantwortlich). Eine Verletzung der Würde ist eine von außen zugefügte Unmenschlichkeit, sei es bewusst oder unbewusst.

Die Unkenntnis, für seine Sicht der Dinge verantwortlich zu sein
Viele wissen nicht, dass sie die Welt mit ihren eigenen Augen sehen, und dass diese Sicht ausschließlich ihre eigene ist. Es ist nicht die Sicht der anderen, aber für die anderen gilt diese Tatsache genau so. Jeder Mensch bezieht einen Standpunkt, von dem aus er die Welt betrachtet. Das geschieht zunächst unbewusst aufgrund angelernter Überzeugungen. Entwickelt der Mensch sich weiter, erkennt er irgendwann, dass er seinen Standpunkt wechseln kann, dass er auch die Sicht von anderen einnehmen kann (über den Tellerrand blicken).

Je mehr Menschen sich also bewusst werden, dass sie eine ganz bestimmte Perspektive einnehmen, dass sie sich diese selbst aussuchen und dass sie jederzeit die Möglichkeit haben, sie zu wechseln, desto fähiger werden sie, mit den Standpunkten anderer offener und gelassener umzugehen.

Die Unkenntnis, die Botschaften, die man erhält, in eigenem Sinne zu interpretieren und somit misszuverstehen
Der Empfänger entscheidet, wie er eine Botschaft verstanden haben will. Der Sender ist für seine Botschaft verantwortlich, aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie in seinem Sinne verstanden wird. Sobald die Botschaft den Sender verlässt und einen Empfänger erreicht, übernimmt der Empfänger die Verantwortung dafür, was er mit ihr anfängt. Er kann sie z. B. ausfiltern, weil sie ihn nicht betrifft. Oder am Rande berühren. Oder total missverstehen. Oder aber voll treffen. Hier greift wieder das Prinzip der Resonanz: Botschaften werden gehört, wenn die Resonanzen im Frequenzbereich des Empfängers liegen. Sonst verhallt sie ungehört, unverstanden.

Zum Schluss als Beispiel ein Tweet aus meiner Timeline aus der jüngsten Zeit, der von den Aussagen her problematisch ist. Ich werde mal die Teile analysieren, sie auf andere Menschen irritierend wirken:

„Natascha Kampusch nervt. Die ist kein Opfer, die ist geldgeil. Nach 8 Jahren interessiert das kein Schwein mehr.“

„Natascha Kampusch nervt.“
Das ist eine Behauptung, die alle anderen Menschen mit einbezieht, weil sie ohne Bezug einfach so im Raum steht. Dabei kann der Kommentator gar nicht wissen, ob sie auch andere Menschen nervt. Richtig (im Sinne von unproblematisch) hieße der Satz: „Natascha Kampusch nervt mich.“ So eine Aussage ist akzeptabel, die Aussage bezieht sich nur auf den, der sie sagt, und gemeindet nicht unterschwellig alle anderen Menschen mit ein. Die haben die Chance, das zur Kenntnis zu nehmen, wissen, dass es nichts mit ihnen zu tun hat und können ihre eigene Sicht der Dinge daneben stehen lassen, ohne in Versuchung zu kommen, sie rechtfertigen zu müssen.

„Die ist kein Opfer“
Das ist schlicht und einfach eine Falschaussage. Natürlich ist sie ein Opfer einer jahrelangen Entführung gewesen. Negierung und Leugnung ganz offensichtlicher Tatsachen dienen oft dazu, irgend ein Defizit bei sich selbst nicht wahrnehmen zu wollen.

„die ist geldgeil.“
Ausschließlich eine Behauptung und vor allem eine Unterstellung. Der Kommentator kann nicht wissen, wie Natascha Kampusch zu Geld steht. „Geldgeil“ ist zudem eine Abwertung und unterstellt dem Opfer, ihr Opfersein aus niederen Beweggründen selbst inszeniert zu haben.

„Nach 8 Jahren interessiert das kein Schwein mehr.“
Richtig hieße der Satz: „Nach 8 Jahren interessiert mich das nicht mehr.“ Das wäre in Ordnung, der Kommentator spricht von sich. Doch von sich auf andere schließen, und zwar in einer Weise, die auch nur Abwertung erkennen lässt (nicht „das interessiert niemanden“ sondern „das interessiert kein Schwein“, nicht mal Schweine interessieren sich also noch für das Thema), macht diese Aussage problematisch.

Mir ist bewusst, dass all diese Dinge viel Feingefühl und auch jahrelange Übung erfordern, um sie überhaupt wahrnehmen zu können. Doch sie sind unglaublich wirksam. Wer nach und nach lernt, diese Mechanismen zu durchschauen und auch selbst entsprechend zu handeln, tut nicht nur sehr viel für sich selbst, sondern trägt maßgeblich zu einem besseren Miteinander bei.

Begegnung auf Augenhöhe

Dass ich mich eines Tages als bekennende Feministin bezeichnen würde, hätte ich bis vor kurzem noch nicht gedacht. Weil die Probleme, die ich bisher mit mir und anderen Menschen hatte, zwar durchaus etwas damit zu tun haben, dass ich eine Frau bin. Ich hielt sie aber eher einfach für zwischenmenschliche Probleme. Nun sind Probleme zwischen Männern und Frauen ja durchaus zwischenmenschliche, sind wir ja doch alle Menschen. Dass es aber ganz bestimmte Probleme nur deshalb gibt, weil unsere Gesellschaft eine patriarchalische ist, weil es ein Machtgefälle gibt zwischen Männern und Frauen und weil die ganz selbstverständliche Privilegierung der Männer und die Unterprivilegierung der Frauen derart massiv und unsichtbar verankert ist, habe ich bisher noch nicht so grundlegend wahrgenommen. Das heißt, doch, aber ich hielt das für unveränderbar, eine Tatsache, die ich sowieso nicht ändern könne und die ich hinnehmen müsse. Ich kämpfte immer nur in meinem eigenen kleinen Alltag gegen meine eigenen kleinen „Problemchen“ im Zwischenmenschlichen und dachte lange Zeit, ja, so sind sie, die Menschen, ich kann nichts daran ändern, ich kann nur für mich bestimmte Dinge ändern und an meinen eigenen anerzogenen Überzeugungen und Verhaltensmustern arbeiten, um in der Welt etwas zu verändern. Die anderen kann ich nicht ändern, das müssen sie für sich selbst erkennen und tun.

Nicht, dass diese Erkenntnis keine Gültigkeit hätte, und nicht, dass mir sehr wohl aufgefallen ist, wie wenige Menschen dies begriffen haben. Doch in welchem Ausmaß das der Fall ist und wie ungleich verteilt auf die Geschlechter, das hat mir erst die Aufschreidebatte deutlich vor Augen geführt.

Wie unbewusst viele Menschen, in der Mehrzahl Männer (ich kenne aber auch eine ganze Menge Frauen, um gleich dem Pauschalisierungsvorwurf den Wind aus den Segeln zu nehmen) durch das Leben gehen, fiel mir immer deutlicher auf, je mehr ich mich selbst von meiner eigenen Unbewusstheit entfernte. Ich machte mich auf den Weg zu mir selbst, und das war ein harter Weg.

Jetzt fällt mir wieder ein, wie oft ich mich in Diskussionen, in Erlebnissen, in Kommunikationen mit anderen Menschen aus jedem Umfeld über gehörte Worte geärgert habe. Wo ich anfangs noch nicht einmal wusste, was eigentlich die Quelle meines Ärgers war. Situationen, in denen ich mich nicht ernst genommen fühlte, in denen ich das Gefühl hatte, man hat mir gar nicht zugehört, man wolle mir beweisen, dass meine Sicht der Dinge falsch ist, in denen man mich belehrte, besserwisserisch über den Mund fuhr, Dinge unterstellte, mich wie ein kleines dummes Mädchen behandelte oder als sei ich geistig zurück geblieben. Notsituationen, in denen man mir nicht zur Seite stand, sondern mich im Regen stehen ließ und mir die Solidarität verweigerte. Kurz, Situationen, in denen mir meine Mitmenschen nicht auf Augenhöhe begegneten.

Auf Augenhöhe begegnen bedeutet, sich für den anderen Menschen und seinen Standpunkt, seine Sicht der Dinge zu öffnen, ohne seinen eigenen Standpunkt in Frage zu stellen, sondern als gleichberechtigt neben dem der anderen stehen lassen zu können. Viele können dies aber nicht. Entweder, sie halten ihren für den einzig richtigen und die der anderen für falsch, krank, verwirrt, mindestens korrekturbedürftig, oder sie sind im Grunde ihres Herzens davon überzeugt, dass sie selbst keinen haben dürfen. Ist es ein Wunder, dass ich bei den überzeugten Standpunktverfechtern hauptsächlich Männer antraf und unter den verzeifelten Standpunktsuchern oftmals Frauen? Angesichts der im Patriarchismus verankerten Gesellschaft sicher nicht.

Ich selbst habe damit angefangen, für mich in bestimmten Dingen erst einmal eigene Standpunkte zu definieren. Allein das war schwer genug, und ich erkannte, dass die Unkenntnis meiner eigenen Ansichten ein schweres Defizit ist, das meiner persönlichen Entwicklung im Weg stand, und das es dringend auszumerzen galt. Ich kannte mich praktisch selbst gar nicht. Ich stellte fest, dass viele meiner Ansichten, von denen ich glaubte, dass sie richtig und gut waren und meine ureigenste Persönlichkeit widerspiegeln, in Wirklichkeit nur übernommene Werte und Überzeugungen von anderen Menschen waren. Oft wurzelten sie in meiner frühesten Kindheit. Viele kamen später dazu, aus der Schule, aus dem Freundeskreis, aus dem Studium, aus dem Berufsleben. Diese alten Muster aufzubrechen erfordert gerade am Anfang, wenn die Fassade zu bröckeln beginnt (wenn sie es denn tut, und das ist ein unglaublicher Glücksfall, viele Menschen erleben das nicht einmal), unendlich viel Kraft und Mut und Durchhaltevermögen, denn es kommt einem so vor, als ob nichts mehr so ist wie es mal war. Jeglicher Halt, von dem man glaubte, ihn zu haben, löst sich in Luft auf. Doch es gibt kein Zurück mehr, das Neue bahnt sich seinen Weg und fegt die Altlasten hinweg. Auch wenn die massivsten und einengendsten Fesseln gerade am Anfang eines solchen (sehr schmerzhaften) Entwicklungssprungs (ich sage heute: Der Sprung zum wirklich erwachsenen Menschen) gesprengt werden, ist es doch ein lebenslanger Prozess. Und so ist es kein Wunder, dass ich auch heute noch plötzlich mit irgendwelchen meiner alten angelernten Überzeugungen konfrontiert werde. Ich kenne das aber schon und kann inzwischen gut damit umgehen. In dem Moment wird es Zeit für mich, sie abzulegen.

Meine alten Verhaltensmuster und Überzeugungen haben natürlich damit zu tun, dass ich eine Frau bin. Ich habe alle Klischees, die in der Überzeugung meiner Eltern und Großeltern und Verwandten wurzelten und die sich diese nicht bewusst gemacht haben, übernommen (emotionales Erbe nennt man das), und diese waren und sind ein Abbild der Gesellschaft.

Sensibilisiert durch jahrelanges Training, unterstützt von externer Hilfe (allein schafft das kaum jemand), mir diese Dinge immer wieder vor Augen zu führen, mein eigenes Verhalten und meine Sicht der Dinge immer wieder zu reflektieren, kann ich heute sehen, welche problematischen Verhaltensweisen dazu führen, dass Beziehungen scheitern, dass Menschen sich manipulieren lassen, dass Frauen so oft von Männern so schlecht und übergriffig behandelt werden. Ich schreibe dazu später noch genaueres. Oft habe ich meine Erkenntnisse in Postings und Kommentaren in sozialen Netzwerken geteilt. Ich erntete dafür von gönnerhaftem Schulterklopfen über sorgfältig ausgearbeitete Gegenbeweise bis hin zur vehementen Ablehnung und Abwertung, wütenden Beschimpfungen und Vorwürfen wie Überheblichkeit, Anmaßung, Bigotterie usw. auch viel Zuspruch.

Es geht das in Resonanz, wofür ein Resonanzraum vorhanden ist. Dass ein großer Resonanzkörper gerade zum Schwingen gebracht wurde und möglicherweise einen für bestimmte (privilegierte) Menschen empfindlich schmerzhaften Umbruch zur Folge hat, dafür gibt es jetzt Anzeichen. Ich hoffe, sie trügen nicht.