Kürzlich machte ich wieder einmal Erfahrungen mit der Gnadenlosigkeit patriarchaler Frauen, die sich massiv angegriffen fühlten aufgrund eigener vorschneller Missinterpretationen. Frauen fühlten sich von mir bedroht, weil ich auf etwas hinwies, was ihnen nicht gefiel und etwas kritisierte, wo sie sich zu Unrecht kritisiert fühlten. Sehr schnell wurde ein Konflikt daraus, dessen Ende (obwohl er natürlich nicht zu ende ist, denn er wurde ja nicht gelöst) war: Ich war die Täterin, die sich auch noch als Opfer stilisierte. Eine Klarstellung war nicht möglich, ich bekam dermaßen unreflektierte und wütende Antworten voller Unterstellungen, Abwertungen, Beleidigungen und sogar Drohungen, dass ich mich gezwungen sah, mich für eine Weile zurück zu ziehen. Um mich an dieser Stelle zu schützen und keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen, behalte ich Details für mich.
Dieses Beispiel, ich komme später noch einmal darauf zurück, hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass es nicht reicht, sich einfach nur mit den Fakten des Patriarchats zu beschäftigen, sondern dass es ganz wichtig ist, sich selbst als Teil von diesem zu begreifen mit allen gelernten Überzeugungen, Verhaltensmustern, Denkweisen, ja Ideologien und Verblendungen. Daher sind meiner Erkenntnis nach drei Dinge zwingend notwendig, um das Patriarchat in seiner Gänze zu begreifen und Ansätze zu finden, es abzuschaffen:
1. Wissen um die Entstehung und die Auswirkungen des Patriarchats
Zu diesem Thema haben andere und ich schon so viel geschrieben, dass ich mich hier ganz kurz fasse: Seit ungefähr 8000 Jahren existiert das Patriarchat. Es entstand aus verschiedenen Gründen, u. a. durch Missverständnisse bei der Beobachtung der natürlichen Vorgänge, durch Installieren der Vaterschaft, durch Besitz- und Privateigentum, durch Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der female choice der Frauen. Seit dem nimmt es seinen zerstörerischen Lauf und ist auch nicht, so wie es derzeit aussieht, aufzuhalten. Die Auswirkungen auf den Planeten und die Menschen sind nicht zu übersehen, auch auf deren Psyche nicht. Diese muss noch einmal genauer betrachtet werden:
2. Wissen um die (gestörte) Psyche der Menschen im Patriarchat
Alle Menschen sind im Patriarchat gestört, da sie ihrer natürlichen Lebensweise beraubt sind. Die Menschen tragen allesamt eine Sehnsucht in sich und wissen noch nicht einmal wonach. Sie sind Mangelwesen, deren Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Nähe, Fürsorge, Vertrauen, Geborgenheit nicht oder nur rudimentär befriedigt sind. Diese Bedürfnisse entspringen der natürlichen Lebensweise des Menschen, der Matrifokalität, die seit der Erfindung des Vaters mehr und mehr unterdrückt wurde. Zu den natürlichen Verhaltensweisen und Gefühlen haben die Menschen keinen Zugang mehr. Ich erlebe es auch immer wieder bei der therapeutischen Arbeit in Frauengruppen, wie sehr manche Frauen von ihren Gefühlen abgeschnitten sind, sie überhaupt nicht spüren oder aber, wenn sie hochkommen, sofort bewerten und verdrängen. Diese Bewertungen der eigenen Gefühle sind aus dem Patriarchat entstanden, denn sie stehen im Widerspruch zu dem, was wir eigentlich fühlen. Von Kindesbeinen an wird gerade uns Frauen eingetrichtert, unseren Gefühlen nicht zu vertrauen, denn diese seien falsch. Unsere Wahrnehmung wurde uns abgesprochen, denn so, wie wir es wahrnahmen, war es in Wirklichkeit gar nicht, wir würden uns das alles nur einbilden, wurde uns eingetrichtert. So begannen wir, unseren Gefühlen zu misstrauen, sie zu verdrängen und nur noch das zu glauben, was man uns über uns sagte. Das ist auch der Grund, warum andere Menschen, gerade Männer gegenüber Frauen, glauben, besser über uns Bescheid zu wissen als wir selbst. Wir lernten neue Überzeugungen, Regeln, Verhaltensweisen, die im Widerspruch zu unseren wahren Gefühlen standen. Deshalb verschütteten sie, und der Zugang ist nicht oder nur noch eingeschränkt möglich. Doch um die eigenen Gefühle, Verhaltensweisen, Überzeugungen aufzuspüren, abzulegen, zu ändern und zu befreien, ist es notwendig, sich mit dem nächsten Punkt zu befassen:
3. Permanente Selbstreflexion
Die Tatsache, dass wir selbst, also auch wir Frauen, uns permanent patriarchal verhalten und deshalb genau dieses immer wieder überprüfen müssen, ist eine sehr schmerzhafte Erkenntnis, sind doch wir es, die wir am heftigsten darunter leiden und am vehementesten dagegen kämpfen. Dennoch ist sie zwingend notwendig, und sie ist ein lebenslanger Prozess. Ich behaupte sogar, sie ist als allererstes zu leisten, damit muss begonnen werden, denn Veränderung kann nur aus dem Inneren geschehen. Die Abschaffung des Patriarchats fängt in den Köpfen an. Dazu gehört das Bewusstsein, dass dieser Kopf durch die jahrtausendelange Gehirnwäsche durch und durch patriarchal denkt. Weil der Kopf patriarchal denkt, handelt der Mensch auch patriarchal. Da Männer wie Frauen im Patriarchat durch die ihnen zugeschriebenen Rollenbilder zwangssozialisiert wurden, handeln und denken sie in diesen Rollenbildern. Wie Männer zu sein haben, wie Frauen zu sein haben, wurde uns schon als Kind eingetrichtert. Das passiert heute noch und wird eher schlimmer als besser. Die Rollenklischees bringen uns patriarchalen Menschen bei, dass Männer die Norm und das Weibliche nichts wert ist.
Aus diesen Rollenverhältnissen entstehen Konflikte, nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch und gerade zwischen Frauen, die sehr heftig ausfallen können. Sie wurzeln in den Widersprüchen und Defiziten, die wir in uns tragen, aber auch in den Verletzungen, die uns immer wieder von anderen Menschen zugefügt wurden. Diese seelischen Wunden machen sehr empfindlich, daher ist es auch sehr schwierig, sie zu heilen. Um Wunden heilen zu können, müssen sie zunächst in Augenschein genommen werden, und allein das kann schon weh tun. Daher ist Selbstreflexion auch immer ein Heilungsprozess, aber ein schmerzhafter, der zumindest anfangs oft nicht ohne therapeutische Hilfe gegangen werden kann. Mit der Zeit, je mehr Wunden geheilt und problematische Verhaltensweisen und Überzeugungen abgelegt wurden, desto leichter wird es, mit den eigenen Fehlern und denen der anderen umzugehen. Schmerzen wird es immer wieder geben. Sie werden jedoch erträglicher, je reflektierter die Frau wird. Sie kann sich selbst besser annehmen und akzeptieren und wird sich selbst und andere weniger oft abwerten. Schuldgefühle hat sie besser im Griff oder schon weitestgehend abgelegt. Dadurch ist sie auch besser gegen die Reaktionen weniger oder gar nicht reflektierter patriarchaler Frauen geschützt.
Konflikte können gelöst werden, wenn die Parteien dafür offen sind. Das setzt voraus, dass sich alle darüber bewusst sind, was zu tun ist, wenn es um die Lösung eines Konflikts geht. Zur Selbstreflexion gehört auch Kritikfähigkeit. Diese wird vernebelt, sobald in einer Kritik ein vermeintlicher Angriff enthalten ist. Selbstreflektierte Menschen wissen das und können sich der Kritik, ohne sich angegriffen zu fühlen, öffnen. Wie im obigen Beispiel zu sehen war, ist das dort gründlich schief gegangen. Hier greift wieder meine Erkenntnis über das Sender-Empfänger-Modell: Die Empfängerin muss sich um Verständnis bemühen, wenn sie eine Botschaft verstehen will. Hört sie aber immer nur das heraus, was sie hören will, wird die Sachebene verlassen, die Beziehungsebene kommt ins Spiel und die Kommunikation geht schief, weil Sender und Empfänger auf verschiedenen Frequenzen kommunizieren.
Tägliche, permanente Selbstreflexion will gelernt sein. Sie setzt die Absicht voraus, an sich selbst zu arbeiten. Arbeit ist anstrengend, sie verlangt Pausen, es scheint auch mal rückwärts zu gehen, dann denkt frau, dort schon längst gewesen zu sein, doch in Wirklichkeit ist sie nur ein Stockwerk höher gegangen und guckt von oben zurück. Stück für Stück, je mehr die Frau (den Männern bleibt es auch nicht erspart, aber sie müssen es für sich selbst tun) sich selbst und ihrem Wesen näher kommt, wird sich der schmerzhafte Nebel lichten, den das Patriarchat über unseren Geist gelegt hat. Am Ende zeigt sich Klarheit, die zu einer bewussten Haltung führt. Auch das ist nicht leicht zu realisieren, denn es wird deutlich, dass es nur wenige andere gibt, die diesen Weg bereits hinter sich haben. Aber er muss gegangen werden. Von allen. Und irgendwann werden wir alle dort sein. Dies wird der Zeitpunkt sein, an dem das Patriarchat abgeschafft sein wird.
Ich habe festgestellt, dass manche Menschen sich nicht nur auf das Wie einer Botschaft versteifen, statt sich auf das Was zu konzentrieren, sondern dass auch das Warum einen zu hohen Stellenwert hat.
Hallo!
Ich teile Ihre Schlussfolgerung zur Abschaffung des Patriarchats nicht, weil ich Ihre Prämissen, nämlich die Beschreibung unserer Gesellschaft als 100%iges Patriarchat, und alle negativen Erscheinungen als Folgen dieses, nicht teile. Dazu fehlt meines Erachtens ein empirischer Beleg, zB ein kontrolliertes Experiment, in dem Patriarchat vs Matriarchat definiert und dann emprisch getestet werden. Sicherlich ein schwieriges Unterfangen, aber ohne diesem sind Ihre Prämissen eben nur unbelegte Hypothesen. Die ich für sehr unwahrscheinlich halte.
Grüße
marenghi
Hallo!
Es gibt und gab kein Matriarchat, daher machen Experimente in dieser Richtung keinen Sinn. Die natürliche Soziologie der Spezies Mensch ist die Matrifokalität, was „Mütter im Zentrum“ bedeutet. Diese war die längste Zeit der Menschheit bis zum Beginn der Jungsteinzeit gegeben, bevor sich das Patriarchat etablierte.
Wann und warum es entstand, dazu haben viele Frauen und auch Männer geschrieben. Ich lege Ihnen vorerst zwei Bücher ans Herz: Gerhard Bott: Die Erfindung der Götter, http://gerhardbott.de/das-buch.html, Sara Blaffer Hrdy: Mütter und andere, https://www.amazon.de/M%C3%BCtter-Andere-Evolution-sozialen-gemacht/dp/3827008859/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&keywords=M%C3%BCtter+und+andere&qid=1555413441&s=gateway&sr=8-1. Darüber hinaus informieren Sie sich bitte über Marija Grimbutas und ihre Veröffentlichungen, die Mosuo in Südchina sowie andere indigene Völker, die auch heute noch mehr oder weniger matrifokal leben. Ferner empfehle ich Ihnen zum weiteren Recherchieren folgende Blogs: https://wahrscheinkontrolle.wordpress.com/ und https://marthastochter.wordpress.com/
Das sollte für den Anfang genügen. Im Laufe der Recherche werden Sie, wenn Sie sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt haben, verstehen, warum die Fakten um das Patriarchat weder in der Schule gelehrt werden, weshalb die wenigsten Menschen (im Patriarchat) davon wissen, noch warum es dazu keinerlei Studien gibt. Meine Erkenntnisse auf diesem Blog habe ich selbst durch Recherchieren, Austausch mit anderen auf diesem Gebiet und dem Abgleich mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen in dieser Gesellschaft gewonnen.
Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg beim Lernen!
Grüße
Suedelbien
Hallo marenghi … Frage: wie will man denn eine weltweit etablierte Gesellschaftsform wie das Patriarchat, in einem kontrollierten Experiment nachweisen?
Außerdem sind sowohl die Begriffe „Patriarchat“ sowie „Matriarchat“ bereits ausführlich definiert und empirisch untersucht … natürlich wird immer noch einiges zu verdeutlichen sein, aber es sind ja bereits genügend Forscherinnen dran…
ich hätte hier auch noch etwas anzubieten:
https://marthastochter.wordpress.com/2017/08/09/das-matrifokal-eine-theorie/
Dieser Herr hatte danach noch einen Kommentar abgesendet, den ich aber nicht frei geschaltet habe, weil er nur eines verdeutlichte: Dass er beweisen will, wie Unrecht ich habe. So einem Verhalten begegnen wir ja immer wieder und zuhauf…
Es gibt genügend existente Matriarchate auf diesem Planeten, alle in mehr oder minder ausgeprägten Formen, und es gibt hinreichend ethnologische Studien, die sich mit den Minangkabau auf Sumatra, den Mosuo in Südchina, den Khasi in Indien und vielen anderen mehr beschäftigt haben. Das Matriarchat ist keine Hypothese, sondern eine Tatsache, über die zahllose wissenschaftliche Untersuchungen angestellt wurden. Eine klleine Recherche auf google scholar oder bei researche gate könnte schon zielführend sein, mit Verlaub.
Hallo Bonjourcarole,
es gibt genügend matrifokal lebende Gemeinschaften auf diesem Planeten, wie z. B. die von dir genannten indigenen Völker. Der Begriff Matriarchat ist jedoch nach dem aktuellen Stand der Kenntnis nicht mehr zeitgemäß, denn er ist ungenau und irreführend. Es gab nie und gibt keine Matriarchate. Es gab und gibt matrifokal lebende Gemeinschaften, und matrifokal ist die angeborene Soziologie der Spezies Mensch.
ausgezeichneter Beitrag, liebe Kirsten, leider habe ich ihn erst jetzt gelesen…