Patriarchales Machtinstrument Psychologie

Kürzlich hatte ich das Vergnügen einer langen Konversation mit einem Psychologen auf Twitter, die mit seiner psychologischen Diagnose über mich endete und damit, dass ich diesen Mann blockte. Ganz kurz zusammengefasst ist folgendes passiert: Er verlinkte meinen letzten Artikel, in dem ich die Psychologie mit dem Patriarchat in Verbindung bringe, bewertete ihn positiv und stellte Fragen, die ich ihm bereitwillig beantwortete und woraufhin zunächst eine angeregte Diskussion entstand. Doch schon bald unterstellte er mir in subtiler Weise Absichten, die ich gar nicht hatte, machte mir unterschwellige Vorwürfe und instrumentalisiere dazu meine Gefühle, hier meine Wut, als Manipulationsabsicht. Er wurde also schon recht früh persönlich, nach dem ich selbst meine Gedanken und Gefühle offen legte. Ich stellte seine Missverständnisse richtig, doch am Ende warf er mir genau das vor, was ausschließlich auf ihn selbst zutraf, z. B. persönlich zu werden. Ich hätte ihn angegriffen und provoziert, ich solle mal meinen eigenen Artikel (!) beherzigen, ich sähe nur das, was ich sehen wollte. Am Ende attestierte er mir aufgrund meiner berechtigten Reaktionen auf diese Unterstellungen Unsachlichkeit. Er selbst reflektierte aber sein eigenes Verhalten nicht im geringsten. Er hatte sogar Angst vor mir und meinem „Austeilen“, traute sich nicht, sich zu öffnen, weil ich ihm ein Messer in diese Öffnung rammen könne, und deshalb müsse er sich vor mir schützen. Es war wirklich grotesk, doch nüchtern betrachtet nichts weiter als die übliche patriarchale Täter-Opfer-Umkehr.

Was mich nun zu diesem Artikel bringt, ist nicht nur mein Schmerz über dieses Victimblaming und die Tatsache, dass ich mal wieder einem dieser narzisstischen unreflektierten Männern auf den Leim gegangen bin, sondern auch, dass ich inzwischen in der heutigen Psychologie eine große Gefahr sehe. Ich habe im Laufe meines Lebens viele PsychotherapeutInnen und PsychologInnen kennen gelernt. Einige davon waren sehr empathisch und einfühlsam (in der Mehrzahl Frauen), andere aber höchst toxisch (auch Frauen). Ich sah mich oft einer gnadenlosen Kaltschnäuzigkeit ausgeliefert. Immer erst im Nachhinein wurde mir klar, was genau in den Sitzungen, aus denen ich oft tränenaufgelöst, völlig verzweifelt, wütend, rat- und machtlos heraus ging, genau passierte.

Vor fünf Jahren schrieb ich meinen Artikel Problematische Verhaltensweisen und Überzeugungen, und im Grunde ist der jetzige Artikel nichts anderes als eine Wiederholung mit Ergänzungen. Das Verhalten mancher Psychologen gegenüber ihrer Klientel und ihre psychologischen Strategien zur Machtausübung versuche ich hier erkennbar zu machen, denn sie dienen dazu, die KlientInnen klein, devot und demütig zu halten, anstatt, wie es eigentlich ihre Aufgabe und Ethik ist, ihnen zu helfen und sie bei ihrer Heilung zu unterstützen.

Gefühle instrumentalisieren

Klienten suchen PsychotherapeutInnen auf, um über ihre Gefühle reden zu können, und werden auch explizit dazu ermuntert. Das Reden über Gefühle ist elementar in der Psychotherapie, denn sehr oft haben PatientInnen kaum noch Zugang zu ihnen. Dieser Zugang ist aber wichtig, um an die angelernten Verhaltensweisen und Überzeugungen zu kommen, die den Menschen im Leben im Wege stehen. Um so fataler ist es, wenn ihre Gefühle vom Therapeuten abgewertet und als Manipulation instrumentalisiert werden. Ich kenne dieses Instrumentalisieren auch aus früheren Beziehungen, in denen ich vor lauter Verzweiflung Tränen vergoss, mir aber unterstellt wurde, ich wolle mit meinen Tränen etwas bezwecken, nämlich Anteilnahme erzwingen. Ich würde auf die Tränendrüse drücken, um Mitleid zu erheischen, mit anderen Worten, „das Opfer spielen“, um Zuwendung und Aufmerksamkeit beim Gegenüber zu erwirken. Nicht, dass es so ein Verhalten nicht gibt. Es kommt durchaus vor, nämlich bei narzisstisch gestörten Persönlichkeiten, die auf diese Weise ihre Opfer manipulieren. Wenn aber PsychotherapeutInnen ihrer Klientel von vornherein eine narzisstische Störung unterstellen und ihre Gefühle als Manipulation missinterpretieren, oder noch schlimmer, in manipulativer Absicht einreden, erfolgt keine Heilung, sondern tiefe Verletzungen und großer Schaden.

Wahrnehmung absprechen (Du siehst nur das, was du sehen willst)

Von Kindesbeinen an werden uns die Dinge anders eingebläut als wir sie wahrnehmen. Besonders uns Frauen wird von Anfang unseres Lebens an die Wahrnehmung immer wieder abgesprochen, korrigiert, uns eingeredet, wir bildeten uns alles nur ein und unsere Gefühle hätten keine Berechtigung bzw. seien völlig falsch. Die Folge ist, dass den eigenen Wahrnehmungen nicht mehr vertraut wird. Gute Therapeuten, denen die Heilung ihrer Klienten am Herzen liegt, bestärken sie darin, ihren Wahrnehmungen zu vertrauen, toxische aber reduzieren sie auf bloße Einbildung. Die Diagnose, die daraus folgt, die Klienten könnten die Erfahrungen und Wahrnehmungen anderer nicht akzeptieren, ist ein Auf-den-Kopf-Stellen der Tatsachen und richtet bei den Betroffenen großen Schaden an. Auch hier zeigt sich die patriarchale Täter-Opfer-Umkehr in subtiler Weise.

Worte missinterpretieren und daraus ein Urteil bilden

TherapeutInnen, die ihren Klienten nicht zuhören, sondern ihre Worte missinterpretieren, wirken besonders zerstörerisch, wenn sie aufgrund ihrer Missinterpretationen auch noch Urteile fällen. Die KlientInnen haben dann keine Chance, irgend etwas klar und richtig zu stellen. Das Urteil ist gefällt und bleibt gnadenlos bestehen, egal, was die Klienten sagen. Dieses Verhalten ist grundsätzlich bei patriarchalen Menschen weit verbreitet. Immer wieder erlebe ich es, dass andere mich missverstehen, daraus ihr Urteil bilden und für alle Zeiten bestehen lassen, egal, wie sehr ich mich auch bemühe, die Dinge klar zu stellen. Im Gegenteil, es führt dazu, dass sie sich von mir für immer abwenden. Aus diesem Verhalten folgt das nächste:

Subtiles Spießumdrehen

Das Urteil ist gefällt, und alles, was jetzt gesagt wird, kann gegen dich verwendet werden. Die therapeutischen Missverständnisse werden gnadenlos dem Gegenüber vorgeworfen. Das Gegenüber kann sich dagegen nicht wehren, steht am Ende als Täter da, während sich der wahre Täter, der manipulierende Therapeut oder Therapeutin, als Opfer inszeniert. Es ist für Außenstehende schwer, diesen Mechanismus zu durchschauen, so dass Opfer von Narzissten sehr oft auch noch gemobbt werden, weil sich das Umfeld auf die Seite des Narzissten schlägt. Ist der Narzisst auch noch Therapeut, wird seinem Urteil noch mehr vertraut als der Aussage des Patienten. Ich selbst habe schon eine Diagnose einer höchst manipulativen Therapeutin in schriftlicher Form zu lesen bekommen, in der absolut nichts stimmte und sämtliche Fakten auf den Kopf gestellt waren. Noch Jahre danach spüre ich die Schmerzen der Verletzungen, die diese Therapeutin mir mit ihrem manipulativen Verhalten zugefügt hat.

Gaslighting

Geschieht das Absprechen der Wahrnehmung sowie das Verdrehen von Tatsachen in voller Absicht, spricht man von Gaslighting. Die Betroffenen glauben am Ende ihren eigenen Sinnen nicht mehr. Die Absicht, die dahinter steckt, ist die vollkommene Kontrolle und Machtausübung über die betroffene Person. PsychotherapeutInnen, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt haben, können diese an ihren KlientInnen problemlos ausleben, ohne dass es lange Zeit auffällt. Deshalb kann ich nur allen, die sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, empfehlen, falls sie an einen solchen Therapeuten gelangen, genau zu beobachten, ob sie empathisch und würdevoll behandelt werden, oder ob sie nach und nach beschämt werden.

Doppelmoral (mit zweierlei Maß messen)

Toxische Doppelmoral kann in einem einzigen Satz vorkommen. Besagter Psychologe warf mir in wenigen Worten vor, persönlich zu werden und wurde es selbst genau in dem Moment. Hinweise auf Doppelstandards sind Sätze, die mit „Du-solltest-Du-musst“-Botschaften anfangen, Wertungen und Urteile.

Loben und Strafen

„Dein Artikel ist richtig gut!“ sagte der Psychologe, um mir zwei Sätze später zu raten, ihn mir selbst zu Herzen zu nehmen, denn ich verstehe meine eigenen Erkenntnisse nicht. „Deine Bilder sind richtig gut!“ schrieb ein Kommentator, um mir gleich danach vorzuwerfen, dass das für meinen Artikel nicht gilt. Erst einschmeicheln, dann zuschlagen. Das Einschmeicheln dient dazu, das Opfer empfangsbereit zu machen. Es freut sich zunächst über das Lob, nur um danach eine Ohrfeige einzufangen, die nach dem Lob doppelt schmerzt. Das ist das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche. Das Opfer merkt, dass das Lob nicht ehrlich gemeint war, sondern nur dazu diente, die folgende Demütigung noch wirkungsvoller zu platzieren. Und leider funktioniert diese Manipulation sehr gut, besonders bei Menschen, insbesondere Frauen, die in ihrem Selbstbewusstsein extrem verunsichert und geschwächt sind. Schwache Menschen waren schon immer Zielscheibe von Machtausübungen. Menschen, die sich in Psychotherapie begeben, sind geschwächt und damit in großer Gefahr, Opfer von leider vorkommenden unreflektierten und toxischen TherapeutInnen zu werden.

All diese Methoden dienen nur einem Zweck: Ein Machtgefälle aufrecht zu erhalten. Dieses Machtgefälle besteht leider viel zu oft zwischen PatientInnen und ihren TherapeuthInnen: Hier der wissende Therapeut, dort der unwissende, defizitäre und unwissende Patient, den es zu korrigieren und zu maßregeln gilt. Es wird deutlich, dass der Beruf PsychologIn geradezu ideal ist für narzisstische Menschen, ihren Narzissmus nicht nur nicht reflektieren zu müssen, sondern ihn auszuleben. Auf Kosten der Menschen, die in seelische Not geraten sind und deshalb Hilfe suchen.

Die Psychologie kann damit als höchst perfides Machtinstrument missbraucht werden. Es wird Zeit, dass sie selbst und die in ihr arbeitenden Menschen dies erkennen, reflektieren und die Konsequenzen daraus ziehen. Eine Konsequenz ist z. B, keine geschlechtlich gemischten Gruppen mehr zu therapieren, sondern nach Geschlechtern getrennt. Frauen haben sehr andere Probleme als Männer. Es ist kontraproduktiv, sie mit derselben Methode in einer Gruppe therapieren zu wollen. So sind Männer, die depressiv sind, eher aggressiv, während Frauen antriebslos  werden. Es hilft nicht, einen aggressiven Mann in einer Gruppe von antriebslosen Frauen zu behandeln, und umgekehrt und schlimmer eine antriebslose Frau in einer Gruppe von aggressiven Männern. Aber so weit ist die Psychologie in ihren Erkenntnissen leider noch nicht.

4 Antworten auf „Patriarchales Machtinstrument Psychologie“

  1. Da das ganze System auf einer Lüge (Überlegenheit des Mannes) basiert; und gesellschaftlich (sprich patriarchal) Narzissmus samt Projektion von ALLEN Männern ständig ausgelebt wird, werden Frauen und ihre Wahrnehmungen als „krank“, oder eben „verdeckt narzisstisch“ bezeichnet. Dies ist im Patriarchat folgerichtig. Mich wundert nur, dass nicht alle Frauen mittlerweile „Schizo“ geworden sind, da ihnen ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen täglich, stündlich, dh. IMMER und überall abgesprochen wird. Alles nur Hysterie. Zur Zeit fliegt zwar gerade das ganze patriarchale Polit-Finanz-Wirtschafts- und Religions-System allen gleichzeitig um die Ohren. Aber selbst jetzt wird an den alten verlogenen Strukturen festgehalten, obwohl sie weiterhin soviel Elend weltweit verbreiten. Dh. Das Patriarchat „metastasiert“ im Moment mit ungeheurer Geschwindigkeit. Und wieder bilden sich Frauen diesen Zusammenbruch einfach nur ein; und alles wird wieder gut. Der letzte Tanz auf der Titanic und die Musik spielt so schön.

  2. Liebe Suedelbin,

    eieiei. Über den Kollegen (ja, ich oute mich, ich bin auch Psychologin, arbeite auch psychotherapeutisch…) kann und will ich nicht urteilen. Ich war nicht dabei und habe die entsprechenden Textpassagen nicht gelesen und weder kenne ich dich noch ihn.

    Es ist jedenfalls erschütternd zu lesen, was du offenbar schon in Therapien erlebt hast. Eigentlich sollte ja die lange Lehrtherapie, die insbesondere Psychoanalytiker genießen, genau vor solchen narzisstischen Kisten schützen. Allerdings bin ich manchmal selbst erschrocken darüber, wer dann alles die Approbation bekommt.
    Was du ja insgesamt ansprichst, sind die nicht falsifizierbaren Theorien, die einem meines Erachtens insbesondere in den psychodynamischen Verfahren (tiefenpsychologisch, psychoanalytisch) unterkommen. Und das sage ich als jemand, der selbst psychodynamisch behandelt. Meine erste Heimat habe ich allerdings in der Transaktionsanalyse als humanistischer Psychotherapiemethode. Für mich ist hier entscheidend, dass sich Patient und Therapeut auf Augenhöhe befinden. Natürlich habe ich als Therapeutin fachlich einen Vorsprung (und persönlich durch die lange Selbsterfahrung hoffentlich auch…), allerdings kann ich trotz all meines fachlichen Wissens nicht in mein Gegenüber hineinschauen. Wir stellen Hypothesen zur Psychodynamik auf, mehr aber auch nicht. Es bleiben Hypothesen. Ich kann damit völlig daneben liegen. Vielleicht, weil mir eine wichtige Information noch fehlt, die mir der Patient/die Patientin zum jetzigen Zeitpunkt aus Selbstschutz noch nicht geben will. Ich erinnere mich an einen Patienten, der eine ganze Weile zu mir kam, ich stellte allerlei Überlegungen zur Psychodynamik an (es fühlte sich allerdings auch noch nicht stimmig an) und nach etwa einem halben Jahr erzählte er mir von einem Missbrauch in der Kindheit. Und damit konnte ich viele meiner erstellten Hypothesen zur Psychodynamik wieder über den Haufen werfen. Aber das gehört sich ja auch so! Schlimm ist es, wenn der Therapeut meint, eine Kränkung abwehren zu müssen und sich daher in seinen ein Mal gemachten Hypothesen nicht mehr bewegen lässt.
    Ich teile die meisten meiner Hypothesen früher oder später mit meinen Patienten. Manche auch sofort, wenn ich es für passend halte. Und wenn mir der Patient widerspricht, dann höre ich mir das natürlich an und lasse das als Möglichkeit mindestens stehen und würdige es entsprechend. Vielleicht ändere ich meine Meinung auch. Vielleicht bleibt an der Stelle aber auch erstmal ein Fragezeichen. Darf ja auch sein. Manchmal dauert es Jahre, bis sich das Eine oder das Andere als „Wahrheit“ herauskristallisiert. Und das kann es nur in einer geschützten, vertrauensvollen Beziehung, in der es nicht um Macht geht.

    Kurzum: Psychotherapie kann ein wunderbares, heilendes Geschehen sein, beim falschen Therapeuten kann sie allerdings zweifellos große Wunden hinterlassen.

    Schönen Tag!
    Jeca

    1. Liebe Jeca,
      vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Ja, es stimmt, ich schreibe aus der Sicht einer Patientin, die leider schlimme Erfahrungen mit der Psychotherapie gemacht hat. Allerdings gerade in jüngerer Zeit auch sehr gute. Einige Annahmen, die ich mir aufgrund meiner negativen Erfahrungen über die Psychotherapie gebildet hatte, habe ich revidieren müssen. Aber ich bleibe bei meiner Kernaussage, dass die Psychologie ein (Macht)instrument des Patriarchats ist, das leider oft missbraucht wird. Überall dort, wo es um Macht geht, wird sie mit Sicherheit auch missbraucht. Die Macht entstammt der heutigen Gesellschaftsform, dem Patriarchat. Folglich gäbe es ohne das Patriarchat die verschiedenen Psychotherapien überhaupt nicht, weil die Menschen seelisch gesund wären und gar keine Therapie bräuchten. Jedenfalls nicht in dem Umfang, wie es heutzutage immer öfter nötig ist. Sicher gab und gäbe es auch dann traumatische Ereignisse, die Schaden an der Psyche des Menschen entstehen lassen können, wie z. B. Naturkatastrophen oder Angriffe durch Raubtiere, gäbe es das Patriarchat nicht. Heutige traumatische Erlebnisse sind aber zum größten Teil „hausgemacht“, d. h. von den Menschen selbst verursacht, und dazu gehören nicht nur Kriege und Verbrechen. Der gesamte Umgang der Menschen untereinander in dieser Gesellschaft ist höchst problematisch, und das hat seine Ursache darin, dass wir unserer natürlichen Soziologie, der Matrifokalität, beraubt sind. Wir sind keine monogamen Paarwesen, sondern polygame Sippenwesen. Wir sehnen uns allesamt nach Gemeinschaft und wissen es noch nicht einmal, weil es keine Kenntnis über unser natürliches Sozialverhalten mehr gibt. Diese Aspekte hatte ich einmal in diesem Artikel zusammen gefasst:
      http://suedelbien.de/patriarchale-glaubenssaetze-und-was-sie-fuer-eine-rolle-in-der-psychologie-spielen/
      Doch zurück zur Praxis der Psychotherapie. Wie du schreibst, erstellen sich gute TherapeutInnen Hypothesen über ihre PatientInnen, die sie ständig durch Feedback auf Augenhöhe anpassen und korrigieren. Ich selbst habe durch die jahrelangen Therapien inzwischen gelernt, wie es sich anfühlt, auf Augenhöhe behandelt zu werden. Vor sechs Jahren habe ich dazu auch meinen allerersten Artikel geschrieben:
      http://suedelbien.de/begegnung-auf-augenhohe/
      Ich kann durch diese jahrelange Übung auch relativ schnell reagieren und korrigieren, wenn ich feststelle, dass eine Diagnose über mich nicht stimmig ist. Vielleicht nicht sofort, aber nach einiger Zeit des Nachdenkens darüber. Kürzlich hat eine TherapeutIn eine Theorie über mich geäußert, von der ich bisher noch nie etwas gehört hatte. Sie meinte, ich würde meine Ängste mit einer Abwehrstrategie bewältigen, die sich „kontraphobisch“ nennt. Ich musste diesen Begriff erst einmal recherchieren. Nach der Definition ist das ein Abwehren von Ängsten, in dem versucht wird, durch besonders riskantes Verhalten sich selbst zu beweisen, die Angst überwunden zu haben. Nun gehöre ich allerdings nicht zu den Extremsportlerinnen oder leidenschaftlichen Bungee-Jumping-Springerinnen, im Gegenteil, mich würden in so manches Fahrgeschäft auf dem Hamburger Dom keine zehn Pferde kriegen, weil ich davor viel zu viel Angst hätte. Trotzdem schätze ich mich selbst als mutig ein, und zwar im zwischenmenschlichen Kontext. Ich kann sagen, was ich denke und fühle und schrecke auch nicht davor zurück, sehr deutlich zu werden. Ich nehme kein Blatt (mehr) vor den Mund. Das ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit an mir und keine defizitäre Strategie, meine Ängste zu verleugnen. Dieser Therapeutin werde ich beim nächsten Treffen ein herzliches Nein zu ihrer Theorie bescheinigen 🙂
      Leider hat das auch sehr bittere Konsequenzen für mich gehabt. Nur weil ich deutlich sagte, wie ich nicht behandelt werden möchte, wurde ich abgestempelt als nicht teamfähig und verlor noch in der Probezeit meinen letzten Job. Duckmäusertum und devotes Lächelverhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen funktionieren bei mir nicht mehr. Leider habe ich oft genug erlebt, dass manche Psychotherapie nur darauf abzielt, die PatientInnen wieder funktionstüchtig in der Erwerbstätigkeitswelt zu machen. Sie gelten als geheilt, wenn sie sich mit den unschönen Begebenheiten arrangieren können. Aber so langsam findet ein Umdenken bei den PsychologInnen und ÄrztInnen statt. Sie haben begriffen, dass die Erwerbstätigkeitswelt immer schlimmer und ungesünder für die Menschen wird. Wenn die Psychologie jetzt auch noch begreifen würde, dass sie Menschen versucht zu heilen, die aufgrund ihres Mangelerlebens durch fehlende Gemeinschaft, Empathie, Rückhalt und Bedingungslosigkeit im Grunde unheilbar sind, und dass die Wurzel allen Übels in der heutigen Gesellschaftsform liegt, die Männer erhöht und Frauen, besonders Mütter, benachteiligt, wäre schon viel gewonnen.

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